Wowereits Hütchenspiel

    Am vergangenen Samstag hat Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit als Zeichen der Solidarität mit dem überfallenen Rabbiner Daniel A. eine Kippa getragen. Vielen Beamten und öffentlichen Angestellten hat er das Tragen religiöser Symbole aber verboten.

    Bei der feierlichen Eröffnung der ersten Langen Nacht der Religionen in Berlin hielt Wowereit eine Ansprache, in der er die religiöse Vielfalt Berlins würdigte und begrüßte. Er vergaß dabei nicht, auch die Atheisten zu würdigen – was mich persönlich gefreut hat. Dass der Bürgermeister eine Kippa auf dem Kopf trug, hat ihm schnell die Sympathie der Religiösen im Festsaal zufliegen lassen. Für sie war Wowereits Kippa ein Zeichen der Anerkennung der Berliner Politik gegenüber der Religion. Zweifellos waren die Lange Nacht der Religionen und der Festakt im Roten Rathaus ein Zeichen der Öffnung der Berliner Politik zur religiösen Vielfalt. Wowereits Hütchenspiel ändert aber nichts daran, dass die Berliner Religionspolitik gegenüber Religion sonst sehr geschlossen ist.

    Wowereits eigene Regierung war es, die 2005 Berliner Lehrern und Lehrerinnen, Kindergärtnern und Kindergärtnerinnen, Polizisten und Polizistinnen sowie Richtern und Richterinnen verboten hat, im Dienst religiöse Symbole zu tragen. Wowereit legt damit zwei Maßstäbe an: einen für sich und einen für die anderen. Wenn Wowereit in öffentlicher Funktion ein religiöses Symbol trägt, um für Vielfalt und Toleranz zu werben, warum sollte dies gerade den Religiösen selbst verwehrt sein? Toleranz kann nur dann eingeübt werden, wenn Unterschiede sichtbar sind.

    Die Berliner Politik hingegen versteckt die Unterschiede. Ein Beispiel hierfür war der Fall des muslimischen Schülers Yunus, der während der Schulzeit in den Pausen beten wollte. Die Schulleitung hat ihm untersagt, für andere Schüler sichtbar zu beten. Einen freien Raum wollte ihm die Schulleitung ebenfalls nicht zubilligen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sogar geurteilt, dass die betreffende Schule auch in den Pausen keinen Raum frei hatte. Andersartigkeit hatte offenbar keinen Platz an dieser Schule.

    Die gleiche Strategie verfolgt das Land auch beim Religions- und Ethikunterricht. Anstatt die Schüler zwischen beiden Unterrichtsformen wählen zu lassen, müssen alle Schüler den Ethikunterricht besuchen. Begründet wird das damit, dass die Schüler nur so lernen, tolerant zu sein. Übersehen wird dabei, dass die Schüler bereits alle anderen Schulfächer gemeinsam besuchen. Die Schule hat also bereits die Chance, die Schüler zu friedfertigem Miteinander anzuleiten, auf zwei Unterrichtsstunden pro Woche kommt es dabei nicht an. Dass der Ethikunterricht in Berlin stark atheistisch geprägt ist, wundert vermutlich auch niemanden.

    Wowereit war indes nicht immer ablehnend gegenüber einer Kooperation mit Religionsgemeinschaften. Mit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz schloss er 2006 einen Vertrag ab, der der Kirche u.a. den Körperschaftsstatus, Staatsleistungen in Höhe von über acht Millionen Euro und den Schutz der Sonntage garantiert. Damit verstieß die Regierung gegen den Grundsatz der Änderbarkeit, dem eine Offene Religionspolitik verpflichtet ist. Denn der Vertrag kann nur einvernehmlich geändert werden und ist geltendes Recht.

    Wenn Wowereits Bekenntnis zur religiös-weltanschaulichen Vielfalt Berlins kein Hütchenspiel, sondern ernst gemeint war, muss er ihm nun Taten folgen lassen. Wir brauchen eine Offene Religionspolitik in Berlin, die allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften den gleichen Zugang zum öffentlichen Raum und zur staatlichen Förderung gewährt und dabei die Freiheitsrechte jedes Bürgers wahrt.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.