Noch immer ist unklar, ob sie kommt – die neue GroKo. Doch was kommen wird, wenn sie kommt, ist inzwischen durch den vorliegenden Entwurf des Koalitionsvertrags deutlicher geworden. Der Vertrag verspricht Erneuerung: „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“.

Über das tatsächliche innovative Potential und die gesellschaftspolitischen Visionen des Vertrages wird in diesen Tagen viel diskutiert. Würde man die Bewertung des Erneuerungspotenzials einzig an die Religionspolitik binden, so müsste das Urteil negativ ausfallen. Die religionspolitischen Herausforderungen durch die zunehmende religiöse Pluralisierung und die wachsende Zahl an konfessionslosen Personen in Deutschland wird nicht benannt. Die Kooperationen zwischen Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften werden vielmehr überhaupt nicht explizit thematisiert.

Religionspolitische Agenda

Einzig die folgenden Sätze geben einen Hinweis auf die Anerkennung der bestehenden Religionspolitik in Deutschland: „Die Koalitionsparteien würdigen das Wirken der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Sie sind wichtiger Teil unserer Zivilgesellschaft und Partner des Staates.“ Und weiter: „Auf Basis der christlichen Prägung unseres Landes setzen wir uns für ein gleichberechtigtes gesellschaftliches Miteinander in Vielfalt ein“ (165).

Zwei Beobachtungen lassen sich aus diesen allgemeingehaltenen Sätzen extrahieren: 1. Das kooperative Verhältnis von Staat und Religionen wird befürwortet; 2. Die exponierte Stellung des Christentums wird bekräftigt und als Ausgangspunkt betrachtet, um ein gleichberechtigtes Miteinander in Vielfalt zu gestalten.

Konkreter wird der Koalitionsvertrag an dieser Stelle nicht. Ohne die Interpretation all zu sehr zu strapazieren, kann man diese Aussage als ein Bekenntnis zum geltenden Religionsverfassungsrecht deuten, dass sich aus der historischen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche entwickelt hat. Auf dieser Grundlage soll ein gleichberechtigtes Miteinander in Vielfalt ermöglicht werden.

Das ist keine neue und keine strittige Agenda. Gegenwärtig spricht sich eine große Mehrheit der politischen Akteure für diesen Standpunkt aus. Er wird im Entwurf des Koalitionsvertrages allerdings nicht präzisiert und expliziert. Deshalb bleibt unklar, durch welche Strategien die Herausforderungen, die sich vor allem im Umgang mit der Heterogenität und den organisatorischen Besonderheiten der islamischen Religion in Deutschland seit Jahren abzeichnen, bewältigt werden sollen. Es wird nicht einmal geklärt, ob an den bisherigen Strategien und Einrichtungen festgehalten wird.

Islampolitik

Dies wird auch in den Passagen über den Islam und die Islampolitik nicht deutlicher. Dass die Islampolitik hier als separater Bereich von der Religionspolitik abgegrenzt wird, resultiert aus der Sonderstellung, die der islamischen Religion im Koalitionsvertrag zugewiesen wird.

Die Islampolitik der Bundesregierung, die sich bislang vor allem in der Deutschen Islam Konferenz (DIK) abspielt, wird unter dem Schlagwort „Prävention“ im Zusammenhang mit den nicht deutlich definierten Begriffen „islamistischer Extremismus und Terror“ sowie „radikaler Islam“ und „radikale Moscheen“ behandelt. Der Verzicht auf eine eindeutige Definition der Begriffe sowie des Begriffswechsel von „islamistisch“ zu „radikalem Islam“ weisen auf eine mangelnde konzeptionelle Klarheit hin, die ausgrenzende Effekte auf Muslime erzeugen können.

Zudem wird an dieser Einordnung der DIK eindeutig ersichtlich, dass die Islampolitik wieder verstärkt unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten verhandelt und die religionspolitische Integration des Islams – die vor allem in der DIK III unter Thomas De Maizère durch Projekte wie islamische Wohlfahrtspflege und Seelsorge ins Zentrum der Bemühungen gestellt worden waren – zurückgedrängt werden.

Fazit:

Im Entwurf des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD sind keine konstruktiven Lösungsvorschläge erkennbar, durch welche die Herausforderungen der Religionspolitik bearbeitet und bestehende Regelungen mit den Veränderungen in der Gesellschaft in Einklang gebracht werden können. Dies zeigt sich am deutlichsten an der Islampolitik. Dass es in der religionspolitischen Ausrichtung der Islampolitik noch immer anhaltende Herausforderungen gibt, wird fast täglich in den Medien – etwa anhand der Zusammensetzung von Beiräten für islamische Theologie oder islamischen Religionsunterricht – diskutiert. Die Regierung aus CDU, CSU und SPD begegnet diesen Aufgaben jedoch nicht mit innovativen, steuerungspolitischen Konzepten, sondern vermeidet komplexe Fragen und Positionierungen und zeichnet sich stattdessen durch eine begriffliche und inhaltliche Unschärfe aus.

Hanna Fülling hat einen Bachelor an der FU Berlin zum Thema "Interreligiöser Dialog" und den Master "Religion and Culture" an der HU Berlin absolviert. Von 2013 bis 2016 war sie Promotionsstipendiatin des Evangelischen Studienwerks Villigst und hat zum Thema "Religion und Integration in der deutschen Islampolitik. Analyse des Begriffsverständnisses von Religion und Integration vor dem Hintergrund der Entwicklung der Islampolitik in der Bundesrepublik Deutschland" im Bereich Sozialethik promoviert. Praktische Erfahrungen zum Thema Religionspolitik hat sie durch ihre Arbeit beim Beauftragten für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften des Berliner Senats gesammelt.