Von Weihnachtskerzen und Martinslaternen

    Wenn ich in der Erinnerung nach besonders schönen Erinnerungen an meine Schulzeit suche, fallen mir viele Traditionen ein, die einen religiösen Hintergrund haben: Das Laternenbasteln und der Fackelzug zu St. Martin. Wichteln und Kerzen im Klassenzimmer in der Adventszeit. Selbst der rheinische Karneval, dessen Ursprünge umstritten sind, ist historisch eng mit dem Christentum verbunden und läutet zugleich die Fastenzeit vor Ostern ein.

    Ausschluss religiöser Feiertage aus der Schule würde Nichtreligiöse bevorzugen

    „Welche Bevorzugung des Christentums! Fort damit!“, fordern Laizisten. Das wäre wohl auch die einzige Lösung, die vollständige Gleichbehandlung der Religionen mit sich brächte. Wo kein religiöser Feiertag mehr begangen wird, kann auch niemand anderen gegenüber benachteiligt werden. Einmal davon abgesehen, dass ein solcher Ausschluss die Nichtreligiösen bevorzugt: Wie steril und langweilig würde das Schuljahr, wenn keine Martinsumzüge mehr veranstaltet, keine Wichtelgeschenke mehr aufgehängt und an Altweiber keine Lehrer mehr auf die Schippe genommen würden?

    „Gleichberechtigung muss sichergestellt werden“, fordern Regelungsversessene und denken über einen nach religiöser Zugehörigkeit quotierten Feiertagskalender nach, an den man sich in den Schulen bitte halten möge. Den Job möchte ich bestimmt nicht machen. Wer allzu akribisch versucht, perfekte Gerechtigkeit herzustellen, kann sich darauf verlassen, dass es immer jemanden gibt, dem er gerade nicht ganz gerecht geworden ist.

    In meinem letzten Beitrag habe ich dafür plädiert, zwischen der Institution Schule und den Menschen, die dort lehren und lernen, zu trennen. Darin scheint mir auch ein guter Weg für den Umgang mit Traditionen zu liegen. Die Schule als Institution darf keinen religiösen oder kulturellen Traditionen verpflichtet sein. Es spricht jedoch nichts dagegen, wenn an jeder Schule die Feste und Bräuche Eingang in den Schulalltag finden, die für die Schülerinnen und Schüler von Bedeutung sind. In der Grundschule sollte sich die Übernahme von Festen und Gebräuchen danach richten, in welcher Tradition die Eltern ihre Kinder erziehen. In weiterführenden Schulen wird es zunehmend wichtiger, wie die Jugendlichen selbst zu einzelnen Traditionen und Feiertagen stehen.

    Mit gutem Willen sollte es kein Problem sein, in jeder Klasse einen Weg zu finden, mit dem sich alle arrangieren können.

    In einer Realschule mitten in einem multikulturellen Viertel in einer Großstadt muss das Schuljahr anders ablaufen als in der Grundschule auf dem Land. Wo viele muslimische Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer sitzen, mag man Traditionen pflegen, die in einem überwiegend christlichen Umfeld keine große Beachtung finden. Mit gutem Willen sollte es kein Problem sein, in jeder Klasse einen Weg zu finden, mit dem sich alle arrangieren können. Und auch wer an keinen Gott glaubt, kann sich über ein Wichtelgeschenk freuen oder die gemütliche Atmosphäre genießen, wenn im Dezember, während es draußen noch dunkel ist, auf allen Pulten Kerzen brennen.

    Meine Mutter ist Lehrerin an einer Grundschule. Im letzten Jahr brachte ihr zu Beginn der Adventszeit eine muslimische Mutter, die selbst ein Kopftuch trägt, einen Adventskranz ins Klassenzimmer. Das sei doch ein schöner Brauch im Christentum, sagte sie, und die Kinder würden sicher Freude an dem Kranz haben. Diese Geschichte hat mich sehr gefreut. Sie steht für mich vorbildhaft für den offenen und wohlwollenden Umgang miteinander, mit dem wir auch in einem multireligiösen Umfeld schöne Traditionen nicht aus übertriebener formaler Gleichbehandlung über Bord werfen müssen.

    Sonja Völker war Vorstandsmitglied des Forums Offene Religionspolitik und Redakteurin des Blogs. Ihr Studium der Fächer Latein und Geschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen hat sie 2014 mit dem Ersten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien abgeschlossen.