Hamburgs Verträge mit Muslimen: Integration statt Offenheit

    von Sven W. Speer

    Ohne Zweifel sind die beiden Staatsverträge, die Hamburg mit Aleviten und Muslimen Ende des Jahres schließen will, Symbol der Integration und Akzeptanz religiöser Vielfalt in Deutschland: An jeweils drei Feiertagen können Aleviten und Muslime sich vom Schulbesuch befreien lassen oder im Rahmen ihres Urlaubsanspruches von ihrer Arbeitsstelle frei nehmen. Die Hansestadt sichert in beiden Verträgen die Unterstützung bei der universitären Verankerung der jeweiligen Lehren zu. Alle Vertragsparteien bekennen sich zum Hamburger Modell des Religionsunterrichts. In diesem ist Religion überkonfessionell und interreligiös ordentliches Unterrichtsfach und wird von der evangelischen Landeskirche verantwortet. Andere Gemeinschaften werden dabei einbezogen, formal nun auch Aleviten und Muslime. Religiöse Betreuung in Krankenhäusern, Heimen, Gefängnissen und Polizeiausbildungsstätten wird beiden Gemeinschaften garantiert – ein Pendant zur Seelsorge der christlichen Kirchen. Im Rundfunk werden den Gemeinschaften angemessene Sendezeiten und eine angemessene Vertretung in den Rundfunkräten eingeräumt. Schließlich garantiert der Vertrag Bestattungen nach den jeweiligen Riten.

    [pullquote_right]Der Abschluss jedweden Vertrags verletzt das Gebot einer religionspolitischen Offenheit, weil der Staat in die religiöse Sphäre lenkend eingreift und seinen eigenen religionspolitischen Spielraum unangemessen einschränkt.[/pullquote_right] Neu ist an all diesen Regelungen nichts. Auch jetzt schon konnten Muslime und Aleviten alle diese Rechte für sich in Anspruch nehmen mit dem Verweis auf das Grundgesetz, die Gesetze des Bundes und Hamburgs (die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg indes garantiert derartige Rechte nicht). Die religionspolitische Neuheit besteht weit weniger im Inhalt der Verträge als in deren Abschluss als solchem. Der Abschluss jedweden Vertrags und damit auch dieser Verträge verletzt das Gebot einer religionspolitischen Offenheit, weil der Staat in die religiöse Sphäre lenkend eingreift und seinen eigenen religionspolitischen Spielraum unangemessen einschränkt.

    Der Staat greift bereits durch die Auswahl des Vertragspartners in die religiöse Sphäre ein. Ein gutes Beispiel dafür sind die alevitischen Organisationen in Deutschland. Das alevitische Selbstbewusstsein in Abgrenzung zu einem islamischen ist mit den Jahren in Deutschland stetig gewachsen. Der Grund hierfür ist, dass Politik und Gesellschaft ein vom Islam getrenntes organisiertes Alevitentum weit eher anerkennen und fördern. Der Fundamentalismus- und Terrorismusverdacht ist gegenüber Aleviten weit niedriger als gegenüber (anderen) Muslimen. Hinzu kommt, dass die Organisationsstruktur der Aleviten deutlich stärker ausgeprägt ist als bei muslimischen Organisationen. Daher besteht bspw. kein Zweifel daran, dass alevitische Geminschaften Religionsgemeinschaften sind, und die Etablierung alevitischen Religionsunterrichts ist vielerorts viel weiter als die eines islamischen. Der Prozess der Herauslösung der Aleviten aus ihrer islamischen Umgebung wird durch einen Vertragsabschluss weiter befördert.

    Auch bei den Muslimen (oder übrigen Muslimen, je nach Sichtweise) hat der Vertragsabschluss Auswirkungen auf ihre organisatorische Struktur. Diese ist nach wie vor unklar. Wird es eine große Religionsgemeinschaft geben, bspw. den Koordinationsrat der Muslime in Deutschland? Werden die Dachverbände Religionsgemeinschaften? Oder werden die Moscheevereine Religionsgemeinschaften? Durch den Vertragsabschluss in Hamburg wählt der Staat Ansprechpartner auf islamischer Seite aus und gibt ihnen damit einen Vorteil in der organisatorischen Entwicklung und Auseinandersetzung. Die Alternative zur Stärkung einzelner organisatorischer Einheiten durch den Staat wäre ein Gesetz, dass die Rechte aller Gemeinschaften sichert, ohne einzelne von ihnen durch Absprachen zu privilegieren (hierzu auch: http://offene-religionspolitik.de/die-falsche-forderung-nach-einer-islamischen-einheitsorganisation/).

    Durch die Staatsverträge hat das Land seinen Handlungsspielraum unangemessen eingeschränkt. Beide Verträge werden auf zehn Jahre geschlossen, wodurch religionspolitische Reformen für diese Zeit auf Eis gelegt sind, sollten sie dem Vertragsinhalt widersprechen. Treten Meinungsverschiedenheiten auf, sollen diese „soweit möglich einvernehmlich“ geklärt werden. Zwar lässt sich anführen, dass die Regelungen nur die bereits geltende Rechtslage widerspiegeln, aber diese lassen sich ohne Änderung des Vertrags nicht antasten. Die Verträge mit Aleviten und Muslimen sind dabei indes ein vergleichbar kleines Problem: Die Staatskirchenverträge mit der evangelischen Landeskirche und der römisch-katholischen Kirche sind jeweils unbefristet und vom Land allein nicht kündbar (ausführlich hierzu: http://offene-religionspolitik.de/konkordate-sind-wie-reusenfallen-fur-mause/).

    Die Verträge Hamburgs mit Aleviten und Muslimen sind zwar ein Symbol der Integration, aber religionspolitisch sind sie ein Irrweg. Mutig wäre, würde Hamburg ein Gesetz verabschieden, das die Rechte und Pflichten aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften regelt.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.