1. Religionsfinanzierung in der Kritik
Die regelmäßig aufkommende Kritik an einer staatsgestützten Religionsfinanzierung insbesondere der beiden Großkirchen durch die Kirchensteuer verhallt regelmäßig folgenlos. Ein Hauptgrund für diese Folgenlosigkeit ist sicherlich, die außergewöhnlich breite Absicherung des Besteuerungsrecht im Grundgesetz. Der Staatsrechtler Sebastian Müller-Franken meint deshalb sagen zu können: «Die Kirchensteuer ruht auf einem gediegenen Fundament, auf dem die Kirchen ihren Kritikern mit Selbstbewusstsein und Gelassenheit entgegentreten können.» (Müller-Franken 2007: 39) Dennoch gibt es Anzeichen für eine vorsichtige Veränderung. Die EKD-Synode hat sich 2020 für eine „Verbesserung des Kirchensteuersystems“ ausgesprochen. Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD, reicht dieses halbherzige Vorgehen offensichtlich nicht. Zu seiner Vision einer Kirche von morgen gehört, dass die Kirchensteuer durch eine Kultursteuer ersetzt sein wird. (Gundlach 2020: 28)
Diese Vision einer Kultursteuer nach dem Vorbild der italienischen Religionsfinanzierungsmodell soll jene Probleme lösen, die die deutsche Kirchensteuer aufwirft. Die religionsverfassungsrechtlich interessante italienische Mandatssteuer gibt dem Steuerpflichtigen die Option, über den Anteil von acht Promille seiner Einkommenssteuer per Steuererklärung entscheiden zu können, welche der berechtigten Religionsgemeinschaften oder als areligiöse Alternative dem Staat für Ausgaben im Sozial- oder Kultursektor den Steueranteil erhalten soll. Sie ist keine zusätzliche Steuer, sondern ein Steueranteil der ohnehin geschuldeten Steuer. Ihre Rechtsform entspricht einer demokratischen Gesellschaft, wenn Bürger*innen können über die Verwendung eines Steueranteils entscheiden können. Sie respektiert die Pluralität und Gleichheit der Religionen im säkularen Staat. Bürger*innen können nämlich demokratisch ihre Option ausdrücken. Die Mandatssteuer ist attraktiv, sie löst gewichtige Probleme des deutschen Kirchensteuersystems, doch sie schafft auch neue, die eine Ablösung der Kirchensteuer durch ein Mandatssteuer nach italienischem Vorbild rechtlich unmöglich machen, aber auch nicht erstrebenswert macht. Die größte Hürde ist das Verfassungsrecht: Die institutionelle Trennung von Staat und Kirche macht eine direkte Staatsfinanzierung von Religionsgemeinschaften hierzulande unmöglich. Das Grundgesetz verbietet die staatliche Finanzierung der religiösen Betätigung von Religionsgemeinschaften, ein Grundprinzip eines säkularen Staates. (Art. 140 GG i. Verb. m. Art. 137 Abs. 1 WRV) Eine staatliche Steuer träte an die Stelle einer kircheneigenen Steuer. Die Finanzierung von Religionsgemeinschaften wäre eine Rückwendung zu einem Element des Staatskirchentums und widerspräche der für das deutsche Verfassungssystem verpflichtenden Trennung von Staat und Kirche. Zudem unterliegt die Verwendung der Steuern in Deutschland dem Parlament. Eine Mandatssteuer kollidiert mit dem Haushaltsrecht des Parlaments, das allein über Verteilung der Steuereinnahmen entscheiden darf.
Vor allem ist sie auch deshalb keine Lösung, weil sie der religionspluralen und säkularen Landschaft in Deutschland nicht gerecht wird. Denn sie kenn t nur eine Wahl zwischen Religionsgemeinschaften und staatlichen Hilfsprogrammen. Die Bundesrepublik Deutschland aber ist eine religionsplurale und säkulare Gesellschaft, in der in den östlichen Bundesländern die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung keiner Religionsgemeinschaft angehört, während in den westlichen Bundesländern die Verhältnisse umgekehrt sind.
2. Religionsfinanzierung – ein hochpolitisches Thema
Die politische und gesellschaftliche Bedeutung der Religionsfinanzierung wird oftmals unterschätzt, stellt sie doch keine bloß finanztechnische Angelegenheit dar, die einzig Sache der Religionsgemeinschaften wäre. Sie ist vielmehr von enormer gesellschaftlicher und politischer Bedeutung, denn die Art und Weise der Religionsfinanzierung kann als die deutlichste Konkretion des Verhältnisses des Staates zu den Religionsgemeinschaften und ein Indikator angesehen werden, an dem die Stellung der Religionsgemeinschaften und ihre Rolle in einer Gesellschaft ablesbar ist.
1967 gehörten fast 95 Prozent der bundesrepublikanischen Bevölkerung den beiden Großkirchen an. Der Steuerbürger, der Kirchensteuer zahlte, war mit dem Staatsbürge nahezu identisch. Das hat sich massiv geändert. Nach 1989 hat sich Deutschland hat zu einer multireligiösen, multikulturellen und säkularen Gesellschaft entwickelt. West- und Ostdeutschland sind religiös getrennte Gesellschaften. Auch der Anteil derer, die sich in Ost- bzw. Westdeutschland religiös gebunden fühlen, steht im Vergleich zum Anteil der Religionslosen nahezu in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander. Das führt zu der widersprüchlichen Lage, dass die religionsverfassungsrechtlichen Regelungen gleichermaßen Mehrheits- und Minderheitenrecht sind.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Kirchensteuer in Deutschland eingeführt. Die Länder lösten sich von ihrer Finanzierungsverpflichtungen der Kirchen und übertrugen mittels der Kirchensteuer diese an die Kirchenmitglieder. Diese Rechtspraxis wurde in der Weimarer Reichsverfassung verfassungsrechtlich abgesichert. Nach dem Schock über die Novemberrevolution 1918, in der es Kräfte gab, eine der französischen Laïcitéentsprechende vollständige institutionelle Trennung von Staat und Kirche zu etablieren, machten die Kirchen in einer Eingabe an die Nationalversammlung in Weimar vier „wirtschaftliche Grundrechte“ mit Nachdruck geltend. Diese fanden vollumfänglich Eingang in die Weimarer Reichverfassung (WRV) fanden. (Huber 1989: 130ff.; Hammer 2002: 40–77; Droege 2012: 24f.) 1919 wurde das bisherige Besteuerungsrecht der Kirchen in der WRV verfassungsrechtlich verankert und nach 1945 sowohl in die erste Verfassung der DDR in Art. 43 Abs. 4 (1949) wie auch der BRD in Art. 140 GG übernommen.
Die WRV und mit ihr das GG haben damit einen Mittelweg zwischen dem Trennungskonzept der französischen Laïcité und der bisher geltenden Ordnung einer Staatskirche eingeschlagen. (Art. 140 GG i. Verb. m. Art. 137 Abs. 1 WRV) Das Kirchensteuerrecht ist symptomatisch für ein Religionsverfassungsrecht, das einerseits Staat und Kirche bzw. den Religionsgemeinschaften institutionell trennt, andererseits aber auch Formen der Verflechtung zulässt. Die Erhebung der Kirchensteuer erfolgt nach einem staatlichen Kirchensteuerrecht durch die Finanzämter und ist eine Zusatzsteuer zum staatlichen Steuersatz. Um den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein Recht auf Besteuerung verleihen zu können, wurde den Kirchen der Körperschaftsstatus nach Art. 140 GG i. Verb. m. Art. 137 Abs. 5 WRV verliehen, mit dem auch nach dem Ende der staatskirchlichen Epoche den Kirchen bestimmte Hoheitsrechte erhalten werden sollten.
Um die Finanzbeziehungen des Staates zu den Religionsgemeinschaften zu entflechten, verankerte die WRV das – immer noch nicht eingelöste – Gebot, die Staatsleistungen abzulösen und gewährleistete im Gegenzug als Kompensation die Kirchensteuer. Von ihrer Entstehung her ist die Kirchensteuer ein Relikt einer vordemokratischen Allianz von Thron und Altar. Auch wenn sie verfassungsrechtlich abgesichert ist, ist sie mit dem Grundverständnis eines säkularen Staats nur schwer vereinbar. Sie ist ein Fremdkörper in einer multireligiösen, multikulturellen und säkularen Gesellschaft. Denn sie privilegiert die christlichen Kirchen, denn andere Religionsgemeinschaften wie die muslimischen scheitern an der Rechtsvoraussetzung wie dem Körperschaftsstatus.
3. Die Religionsfinanzierung im säkularen Staat neu ausrichten
Alle Religionen und Weltanschauungen genießen seit Weimar aufgrund der umfassenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen den gleichen Schutz bei strikter Egalität. Das Kirchensteuerrecht ist verfassungsrechtlich gewährleistet im Grundgesetz und im Reichskonkordat und in Länderkonkordaten sowie zahlreichen Länderverfassungen verankert. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist es dem Staat verwehrt, das Kirchensteuerrecht einseitig abzuschaffen oder auszuhöhlen. (BVerfGE 19,206<218>) Wenn die Forderung nach einer Ablösung der Kirchensteuer politische Wirkung entfalten soll, dann muss sie zwei Anforderungen gerecht werden: Sie muss erstens unterhalb einer Verfassungsänderung angesiedelt sein und zweitens der multireligiösen, multikulturellen und säkularen Landschaft gerecht werden.
Die Studie zur „Neuausrichtung der Finanzierung von Religionsgemeinschaften im säkularen Staat“ (1), die im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellt wurde, entwickelt einen Vorschlag, wie das im europäischen Vergleich ungewöhnliche Instrument des staatlichen Kirchensteuereinzugs überwunden und weiterentwickelt werden kann. Sie will eine konsequentere Trennung und Staat und Kirche durchsetzen, bleibt unterhalb der Schwelle einer Verfassungsänderung, respektiert den Rechtsstatus der Kirchen und entwickelt einen praktikablen Reformvorschlag für eine Finanzierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in einer pluralen Gesellschaft.
Die Studie enthält einen Doppelvorschlag:
- Erstens wird der Zwangseinzug der Kirchensteuern durch das Finanzamt beendet.
Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geht der staatliche Einzug der Kirchensteuern durch die Finanzämter über den Gewährleistungsanspruch des Grundgesetzes hinaus. (BVerfGE 2 BvR 443/01) Aus dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Zusammenarbeit von Staat und Kirche soll beim Einzug der Kirchensteuer auf das Maß zurückgeführt geführt werden, das die Verfassung vorsieht. Deshalb sollen die Kirchen sollen – wie in Bayern – den Einzug und die Verwaltung der Kirchensteuern selbst vornehmen. Damit wird der Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Kirche durchgesetzt.
- Weiterentwicklung des italienischen Mandatsmodells im deutschen Rechtsrahmen
Das italienische Mandatsmodell erlaubt es den Bürger*innen über den Betrag von 0,8 Prozent des Einkommenssteueraufkommens zu entscheiden. Das italienische Modell muss für den deutschen Rechtsrahmen ausgeweitet werden und auch säkulare Organisationen der Zivilgesellschafft einbeziehen.
Die Studie greift das in kommunalen Haushalten bereits vielfach praktizierte Modell eines Bürgerhaushalts auf und plädiert, es auf Bundesebene einzuführen. Beim Bürgerhaushalt können Bürger*innen über die Verwendung eines Teils der Steuern mitbestimmen. Dazu müsste der Staat einen Anteil des Bundeshaushalts als Bürgerhaushalt reservieren. Über dessen Verausgabung können alle wahlberechtigten Bürger*innen mittels Gutscheine (wie bei Spenden) bestimmen. Sie haben dann die Wahl, ihren Steueranteil religiösen, weltanschaulichen oder säkularen gemeinnützigen Organisationen als Teil der Zivilgesellschaft mit Bürgergutscheinen aus einem Anteil des Bundeshaushalts zukommen zu lassen. Aus diesem Pool können Bürger*innen ihren Anteil beispielsweise Attac, einer muslimischen Gemeinde, Greenpeace, dem Humanistischen Verband, einer jüdischen Organisation oder einem Palliativkrankenhaus der Diakonie widmen. Der Einführung eines Bürgerhaushalts wäre unterhalb einer Verfassungsänderung möglich. Rechtlich würde eine Erweiterung des Einkommensteuergesetzes (EstG) und erforderlichenfalls der Haushaltsordnung des Bunds genügen.
Die vorgeschlagene Neuausrichtung der Finanzierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften garantiert die weltanschauliche Neutralität des säkularen Verfassungsstaats und verbleibt unterhalb der Schwelle einer Verfassungsänderung. Der Vorschlag fördert die Toleranz und den religiösen Pluralismus, achtet die negative Religionsfreiheit der Bürger*innen und stärkt die Demokratie durch die finanzielle Unterstützung der Vielfalt zivilgesellschaftlicher Organisationen durch die Bürger*innen selbst. Aus der Perspektive des säkularen weltanschaulich neutralen Staats sind die Religionsgemeinschaften als Teil der Zivilgesellschaft zu verstehen. Eine lebendige Demokratie braucht eine Grundlegung in einer lebendigen Zivilgesellschaft, deren Teil die Religionsgemeinschaften sind. Dazu gehört auch eine finanzielle Grundausstattung.
(1) Die Studie wurde von Prof. em. Dr. Franz Segbers, Fachbereich Evangelische Theologie, Universität Marburg, für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellt. Download: https://www.rosalux.de/publikation/id/43174/neuausrichtung-der-finanzierung-von-religionsgemeinschaften-im-saekularen-staat?cHash=7f002cc35c80b1284d715319c0422a01. Die Studie greift den Vorschlag des Dietrich-Bonhoeffer-vereins auf und modifiziert diesen: Martin: 2002.
Literatur:
Droege, Michael (2004): Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, Berlin.
Gundlach, Thies (2020): In Zukunft Elite, in: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, Februar, S. 27–30.
Hammer, Felix (2002): Rechtsfragen der Kirchensteuer, Baden-Baden.
Huber, Wolfgang (1989): Die Kirchensteuer als «wirtschaftliches Grundrecht» – Zur Entwicklung des kirchlichen Finanzsystems in Deutschland zwischen 1803 und 1933, in: Lienemann, Wolfgang (Hrsg.): Die Finanzen der Kirche. Studien zu Struktur, Geschichte und Legitimation kirchlicher Ökonomie, München, S. 130–154.
Müller-Franken, Sebastian (2007): Kirchenfinanzierung im freiheitlichen Staat des Grundgesetzes, in: Bayerische Verwaltungsblätter. Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung, 2, S. 33–39.
Martin, Karl (2002): Das Reformmodell des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins. Für mehr Demokratie und bürgerschaftliches Engagement. Für eine Kirchenfinanzierung ohne staatlichen Zwangseinzug, in: ders. unter Mitarbeit von Bald, Detlef (Hrsg.): Abschied von der Kirchensteuer. Plädoyer für ein demokratisches Zukunftsmodell. Reformvorschlag des Dietrich-Bonhoeffer Vereins (dbv), Oberursel, S. 82–136.
Segbers, Franz (2020): 13. Neuausrichtung der Finanzierung von Religionsgemeinschaften. Eine Studie erstellt für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin.