Manche Minderheiten haben den vermeintlichen Vorteil, sich unsichtbar machen zu können. Fußballer können ihre Homosexualität über Jahre hinweg nicht öffentlich machen. Ganz ähnlich ist es bei Angehörigen vieler religiöser und weltanschaulicher Minderheiten, die ihr Bekenntnis bewusst für sich behalten. Auch wenn der öffentliche Applaus bei einem „Coming out“ eines Atheisten in Oberbayern oder eines frisch getauften Katholiken in Brandenburg meist ausbleibt, sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Coming out für Schwule und Lesben keineswegs leicht ist – und gesellschaftliche Akzeptanz bei weitem nicht immer die Regel.
Dies zeigt das Beispiel von Thomas Hitzlsperger, der seit heute Deutschlands erster prominenter Ex-Profifußballspieler ist. Obwohl die Medien sehr positiv über seinen Schritt berichten, mischt sich in die Kommentare doch immer wieder auch Kritik wie diese von abokadabro: „Die Meldung hat ungefähr den selben Wert wie wenn sich irgendwer zu seiner Heterosexualität bekennt. Wen interessiert das? Wären die Menschen nicht so sehr am Privatleben anderer interessiert, wäre es vielleicht mal möglich über echte Probleme dieser Gesellschaft zu berichten.“ Ich befürchte, in anderen Foren wird unsachlicher diskutiert. Aber auch dieser moderate Beitrag zeigt eins: Andersartigkeit wird vielfach nur toleriert, solange sie nicht sichtbar ist. Wer anders ist, solle dies doch bitte für sich privat behalten. Dass die Mehrheit wie selbstverständlich Heterosexualität zur Schau trägt, wird dabei geflissentlich unterschlagen (Stichwort „Spielerfrauen“). In meinen Augen ist diese Intoleranz ein „echtes Problem“ unserer Gesellschaft.
Was hat das nun mit religiösen Minderheiten gemeinsam? Hier greift der gleiche Mechanismus: Oberflächlich sind die meisten tolerant, aber sobald die Andersartigkeit sichtbar wird, verflüchtigt sich die Offenheit. Das zeigt die repräsentative Studie von Prof. Dr. Detlef Pollack von der Universität Münster. 94 % der Westdeutschen befürworten die Glaubensfreiheit. Und 81 % sind der Überzeugung, man müsse alle Religionen respektieren. Dass alle Religionen im Land die gleichen Rechte haben sollten, finden aber nur 49 %. Auch diese Einstellung ist offenbar noch reichlich abstrakt. Wird es konkreter, sinkt die Toleranz noch weiter. Nur 31 % meinen, Mädchen sollten in der Schule Kopftuch tragen dürfen. Nur 28 % befürworten den Bau von Moscheen und lediglich 18 % auch den von Minaretten. Ganze 42 % der Westdeutschen sind überzeugt, die Ausübung des Islam müsse stark eingeschränkt werden. Der Islam stand freilich im Zentrum der Studie. Nichtsdestotrotz zeigt die Studie, dass auch jeweils eine starke Minderheit der Bevölkerung eine negative Haltung gegenüber den Angehörigen der verschiedenen Weltreligionen sowie Atheisten aufweist. Die Akzeptanz gegenüber in Deutschland kleinen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wurde bislang kaum erfasst, dürfte aber ebenfalls gering sein (Stichwort „Sekte“). Immer wieder schreiben mir Angehörige religiöser Minderheiten von ihren Akzeptanzproblemen, wagen es aber nicht, diese öffentlich zu machen. Daran müssen wir arbeiten.
Andersartigkeit wird häufig nur akzeptiert, solange sie unsichtbar ist. Das aber ist keine Akzeptanz. Es ist nicht einmal Toleranz. Tolerant zu sein heißt, die Andersartigkeit des Anderen hinzunehmen und (ggf. leidend) zu ertragen. Mehr verlange ich gar nicht im Umgang mit Minderheiten. Das ist aber vielfach noch zu viel verlangt. Jeder hat das Recht, so wie er ist, wie er sich fühlt und wie er glaubt, in die Öffentlichkeit zu treten. Niemand muss sich verstecken, nur weil er es könnte.
An all jene, die nun kritisieren, dass sexuelle, religiöse und weltanschauliche Minderheiten nicht verglichen werden können oder die Freiheit der einen Gruppe der Freiheit der anderen Gruppe im Wege stünde, richte ich ein Zitat von John Stuart Mill: „Die Menschen gewinnen mehr dadurch, dass sie einander gestatten, so zu leben, wie es ihnen richtig scheint, als wenn sie jeden zwingen, nach dem Belieben der Übrigen zu leben.“ Das hilft jedem, ganz gleich welchen Minderheiten er angehört – und es gibt wohl niemanden, der keiner angehört.