Von der Leichtigkeit des Heldentums angesichts des Mohammedvideos

    von Sven W. Speer

    Dieser Tage ist es leicht und billig, ein Held zu sein. Die Freiheit der eigenen Anschauung muss verteidigt werden, der eigene way of life, gar die eigene Kultur und Zivilisation. Nein, ich rede nicht von jungen Muslimen, die sich derzeit in aller Welt in die Gewehre von Sicherheitskräften vor westlichen Botschaften stürzen und dabei ihr Leben geben – und noch tragischer: das Leben anderer nehmen. Ob der Ehre des Propheten und Allahs damit genüge getan ist, werden wohl nur die beiden selbst wissen. Die meisten Muslime der Welt bezweifeln dies indes.

    Ich möchte mich gar nicht weiter bei diesen Möchtegernmärtyrern aufhalten, deren weiteres Schicksal nach ihrem vorzeitigen Ableben weitgehend ungeklärt ist. Nein, mir geht es um die Helden hier in Deutschland, die den wütenden Mobs in den muslimischen Ländern tapfer entgegentreten: Mit einem „Gefällt mir“ hier und da. Vielleicht sogar mit wütenden Kommentaren. Es hagelt Solidaritätserklärungen mit den Machern des Films. Der Film müsse aufgeführt werden, um die Meinungsfreiheit als hohes Gut des Westens zu verteidigen. In der Diskussion in Foren und bei Facebook schlagen in Deutschland die verbalen Flammen hoch. Der Kampf der Kulturen ist spürbar, wenn auch nur von der Seite der vermeintlich Aufgeklärten her. Gestorben wird anderswo für die Meinungsfreiheit. Diese Opfer sind die wahren Helden, wenn auch unfreiwillig.

    [pullquote_right]Der Kampf der Kulturen ist spürbar, wenn auch in Deutschland nur von der Seite der vermeintlich Aufgeklärten her. Gestorben wird anderswo für die Meinungsfreiheit.[/pullquote_right]Der Mohammedfilm hat die ersten Monate seiner Existenz so gut wie niemanden interessiert. Was nicht weiter wundert: Er ist schlecht gemacht, nicht besonders tiefgängig, lustig, überraschend oder kreativ. Nun da ein Vorführungsverbot des Films auch in Deutschland diskutiert wird, solidarisieren sich viele mit den Machern des Films und für die Meinungsfreiheit. Rosa Luxemburg wird heranzitiert: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern.“ Und die ganz hartgesottenen Verteidiger der westlichen Werte gehen noch einen Schritt weiter und bemühen den Pseudo-Voltaire: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“ So weit, so gut. Die beiden Sätze unterschreibe ich. Zugegeben: Luxemburg sofort, bei Voltaire setzen dann aber doch die Bedenken ein. Ich bin für die Meinungsfreiheit. Sie ist ein hohes und zu schützendes Gut. Die Kosten des Gutes sind eine höhere Unsicherheit, mehr Konflikte und, wie die aktuelle Situation zeigt, sogar Menschenleben. Der Wert der Meinungsfreiheit wiegt ihre Kosten auf. Sie darf nicht eingeschränkt werden.

    Bei der Diskussion um den Mohammedfilm frage ich mich aber schon, ob hier tatsächlich die Meinungsfreiheit als ein universelles Gut verteidigt wird. Ist es wirklich die Freiheit des Andersdenkenden, die in der Diskussion verteidigt wird? Bislang scheinen mir unter den Verteidigern des Mohammedvideos erstaunlich viele zu sein, die dem Islam nicht über den Weg trauen. Wo war der Aufschrei für die Freiheit, als einem Moslem an seiner Berliner Schule verboten wurde zu beten? Aus Rücksicht auf den Schulfrieden musste er auf sein Recht zu beten verzichten. Der Aufschrei blieb aus. Es gab Beifall. Die Einschränkung der Freiheit wurde damals von vielen begrüßt, die heute Freiheit einfordern. Das Mohammedvideo gefährdet nicht den Schulfrieden, sondern das Leben unserer Diplomaten und ihrer einheimischen Mitarbeiter weltweit. Hier soll nun aber kein Recht eingeschränkt werden.

    Das Recht, eigene Anschauungen zu äußern, wird von zu vielen nur dann vehement eingefordert, wenn sie selbst dadurch nicht geschädigt werden, sondern andere die Kosten dafür tragen. Die Freiheit aber seine Anschauungen öffentlich zu zeigen, ob in einem Video, Gebet oder Text, steht jedem Menschen zu. Wenn all diejenigen, die sich derzeit vehement für die Aufführung des Mohammedvideos stark machen, künftig auch tatsächlich für die Freiheit Andersdenkender und Andersglaubender einsetzen, ist der aktuelle Konflikt hilfreich. Nur dann ist er hilfreich. Und nur dann sind sie Helden – wenn auch nur im Kleinen.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.