Tausende junge Männer ziehen mit Begeisterung auf Seiten von IS in einen vermeintlich heiligen Krieg. Tausende Kurden aus Europa kämpfen gegen IS, darunter auch Kurden aus Oldenburg. Die Kurden bekommen zudem Verstärkung von Rockern aus den Niederlanden und Deutschland. Sogar junge Frauen zieht es in die Region, um sich IS anzuschließen. Nicht nur der Mittlere Osten wirkt anziehend: Ein deutscher Elitesoldat ist offenbar desertiert, um sich prorussischen Separatisten in der Ukraine anzuschließen Angeblich sind die russischen Soldaten im Rahmen ihres Urlaubs in der Ukraine. Das Gros dieses neuen Gewalttourismus zieht indes nach Syrien und in den Irak.
Von Bagdad bis Damaskus entsteht derzeit der weltgrößte Vergnügungspark. Morden, Plündern und Vergewaltigen zum Nulltarif – sofern man dem eigenen Leben keinen Wert beimisst. Möglich wird dieses verlockende Angebot durch die tiefe Sinnkrise, in der viele Jugendliche in der arabischen Welt, aber auch in Europa stecken. Die Emanzipation des Einzelnen aus den gesellschaftlichen Zwängen, die als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit begann, ist für viele eine schwere Last geworden. Das Leben an sich hat keinen von außen messbaren Sinn. Der Einzelne muss seinem Leben selbst einen Sinn geben. Einfach ist dies, wenn er das Gefühl hat, gebraucht zu werden, einen Beitrag zu leisten. Schwierig wird es hingegen, wenn dieses Gefühl ausbleibt. Dann scheint das Leben wertlos und die Aussicht darauf, ein „Held“ zu sein, attraktiv.
Erschreckend ist jedoch nicht nur, wie diese meist jungen Menschen ihr Leben wegwerfen. Erschreckend ist darüber hinaus, wie sehr an der Heimatfront für sie mobilisiert wird. Während früher Staaten in den Krieg zogen, mobilisieren heute Bevölkerungen. Möglich wird dies erst durch die Abschaffung der Wehrpflicht: Der Einsatz von Berufssoldaten fällt leichter als derjenige der eigenen Kinder. Aber auch wenn der offizielle Militäreinsatz ausbleibt: Die inoffiziellen Freiwilligen, die auf allen Seiten kämpfen, können sich einer großen Fanbase, eines großen Publikums gewiss sein. Und so ist der Raum von Bagdad bis Damaskus nicht nur der weltgrößte Vergnügungspark für sinnsuchende Heißsporne, sondern auch Circus Maximus für die Daheimgebliebenen.
Die Kämpfe in diesem Circus Maximus stiften nicht nur bei den einreisenden Kriegern neuen Sinn. Zugleich geben sie Menschen weltweit die Möglichkeit, sich mit einer der vielen Kriegsparteien zu identifizieren, sie anzufeuern und mitzufiebern. Dies erinnert auf tragische Weise an die Tribute von Panem, die Dystopie von Suzanne Collins. Sie beschreibt eine Welt, die vom altrömischen Credo „Brot und Spiele“ regiert wird. Stellvertretend für die Bezirke der Nation bekämpfen sich Auserwählte bis zum Tode. Tragisch für die Realität in Syrien und im Irak ist nur: Die Kämpfe finden nicht in einer geschützten Atmosphäre statt, sondern ziehen die Zivilbevölkerung auf grausamste Weise mit hinein.
Tausende Tote, Verletzte und Traumatisierte sind die die Kosten eines Spektakels, das durch die Sinnkrise in vielen Teilen der Welt befeuert wird. Ein Ende ist nicht abzusehen. Und selbst wenn der Mittlere Osten dereinst befriedet ist: Diese martialische Form der Freizeitbeschäftigung wird künftig einem Wanderzirkus gleichen. Werden die Zelte an einer Stelle abgebaut, ersteht der Vergnügungspark des Grauens an anderer Stelle von neuem.