Es ist wieder Karfreitag und das Tanzverbot kommt zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Alle Bundesländer verbieten am Karfreitag „Veranstaltungen in Räumen mit Schankbetrieb, die über den Schank- und Speisebetrieb hinausgehen“ (so formuliert es bspw. Niedersachsen). Damit ist vor allem das Tanzen in Clubs und Diskotheken gemeint. Und das Verbot geht noch weiter: Untersagt sind alle öffentlichen Veranstaltungen, „außer wenn sie der geistig-seelischen Erhebung oder einem höheren Interesse der Kunst, Wissenschaft oder Volksbildung dienen und auf den ernsten Charakter des Tages Rücksicht nehmen.“ Sport fällt ausdrücklich nicht zu den zulässigen Veranstaltungen.
Der Karfreitag ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. An zahlreichen weiteren Tagen wird das Handeln in der Öffentlichkeit eingeschränkt: Aufsummiert ergeben die Zeiträume der geltenden Verbote ein sehr buntes Bild. Spitzenreiter Baden-Württemberg schreibt all denjenigen, die sich im Land aufhalten, 273 Stunden im Jahr vor, wann sie in der Öffentlichkeit nichts anderes als Trauer oder seelische Erhebung (im Sinne des Landes freilich) zeigen dürfen – oder halt zu Hause bleiben müssen. In den drei Stadtstaaten sind die Vorschriften vom Zeitumfang am geringsten. Bremen diktiert nur 37 Stunden im Jahr die öffentliche Stimmung.
Verbot von Tanzveranstaltungen, Sportveranstaltungen usw. in der Öffentlichkeit:
- Baden-Württemberg: 273 Stunden
- Bayern: 190 Stunden
- Hessen: 187 Stunden
- Rheinland-Pfalz: 171 Stunden
- Saarland: 170 Stunden
- Niedersachsen: 116 Stunden
- Mecklenburg-Vorpommern: 91 Stunden
- Sachsen-Anhalt: 89 Stunden
- Sachsen: 87 Stunden Stunden
- Nordrhein-Westfalen: 83 Stunden
- Brandenburg: 79 Stunden
- Thüringen: 75 Stunden
- Schleswig-Holstein: 64 Stunden
- Berlin: 51 Stunden
- Hamburg: 44 Stunden
- Bremen: 37 Stunden
Eine Aufführung der einzelnen Tage finden Sie hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Tanzverbot#Deutschland
Pro Tanzverbot
Die Befürworter von Tanzverboten und stillen Tagen führen als Argumente an, dass es einer Gesellschaft gut tue, wenn einzelne Tage ruhig begangen werde. Die Spaßgesellschaft müsse ihre Grenzen kennen. Wenn an jedem Tag alles erlaubt wäre, wäre das maßlos. Hinzu kommt mittlerweile das Argument der Rücksicht: In einer Gesellschaft der Vielfalt müssten andere Gemeinschaften als die eigene ausreichend geschützt werden. Tanzen könne der Einzelne noch an allen anderen Tagen des Jahres.
Contra Tanzverbot
Die Gegner des Tanzverbots pochen auf die individuelle Freiheit. Jeder müsse sein Leben so führen können, wie er es für richtig hält. Ob jemand an einem Tag andächtig ist oder tanzt (oder beides), müsse in seinem eigenen Ermessen liegen. Wenn nach Aufhebung eines Verbots niemand mehr andächtig ist, sei das halt so. Sowohl die Nachtruhe als auch die ungestörte Ausübung von religiösen Riten sei auch ohne Tanzverbot hinreichend geschützt.
Empfehlung
Die Argumente für und wider das Tanzverbot sind freilich sehr knapp dargestellt worden. Nichtsdestotrotz sind diese, so meine ich, die Kernargumente in jeder Argumentation. Im Forum Offene Religionspolitik herrscht keineswegs Einigkeit über den Umgang mit Tanzverboten. Die unterschiedlichen Positionen lassen sich in einem älteren Beitrag von uns sehr schön nachlesen. Ich persönlich glaube, dass umfassende Verbote in einer offenen Gesellschaft nicht angemessen sind. Der Staat darf seinen Bürgern nicht vorschreiben, wie sie sich zu fühlen und zu verhalten haben. Das Recht anderer, ungestört zu sein, darf nicht so weit ausgelegt werden, dass Handlungen anderer vollständig verboten werden. Bereits jetzt dürfen Gottesdienste nicht gestört werden. Wer sich allein schon dadurch gestört wird, dass andere Menschen Spaß haben – obwohl er dies gar nicht direkt erfährt – muss damit in einer pluralistischen Gesellschaft leben.
Dass einzelne Bundesländer an über 200 Stunden Gefühle und Haltungen vorschreiben, ist nicht tragbar. Wer auf gesellschaftsweite Verbote im Namen der Religion pocht, sollte sich darüber im Klaren sein, dass das christliche Erbe des Landes dadurch nicht als Bereicherung, sondern als Belastung aufgefasst wird. Angemessener ist es, religiöse Veranstaltungen zu schützen, wo sie durchgeführt werden, und überall anders die Menschen einfach ihren eigenen Weg gehen zu lassen.