Studie zeigt: Offene Religionspolitik hat es schwer in Deutschland

    von Sven W. Speer

    Jeweils 1.000 Personen hat TNS emnid in Ost- und Westdeutschland, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und Portugal befragt. Für eine prinzipielle Gleichberechtigung aller Religionen sprechen sich dabei in allen Ländern große Mehrheiten von mehr als drei Viertel der Befragten aus – nur in Deutschland nicht. Hier liegt die Zustimmung gerade einmal bei 53 Prozent im Osten und 49 Prozent im Westen.

    [pullquote_right] Für eine prinzipielle Gleichberechtigung aller Religionen sprechen sich in allen Ländern große Mehrheiten von mehr als drei Viertel der Befragten aus – nur in Deutschland nicht.[/pullquote_right]Welcher Rahmen einer Gleichberechtigung aller Religionen nach der Meinung der Bevölkerung gesetzt wird, unterscheidet sich zwar in den einzelnen Ländern. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bildet Deutschland aber immer das Schlusslicht der Offenheit. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Haltung zur öffentlichen Sichtbarkeit von Religion. Für die Sichtbarkeit religiöser Symbole in der Schule sprach sich in Westdeutschland, Dänemark, den Niederlanden und Portugal eine Mehrheit der Befragten aus, in Frankreich und Ostdeutschland jedoch nur jeder Dritte. Die Bereitschaft, das Kopftuch bei Mädchen in der Schule zuzulassen, ist weitaus geringer. Lediglich in Dänemark und in den Niederlanden zeigt eine Mehrheit diese Offenheit. In Westdeutschland ist dazu nur jeder Dritte bereit, in Ostdeutschland jeder Vierte und in Frankreich gar nur jeder Zehnte.

    Wie sich bereits am Beispiel des Kopftuchs zeigt, bedeutet die prinzipielle Offenheit einiger Gesellschaften in Fragen der Gleichberechtigung keineswegs eine kritiklose Offenheit. Große Minderheiten von 19 bis 42 Prozent sind der Meinung, dass die Ausübung des islamischen Glaubens stark eingeschränkt werden müsse. In Frankreich und Ostdeutschland antwortete sogar knapp über die Hälfte der Befragten entsprechend. Die Errichtung von Moscheen befürworten Mehrheiten von 55 bis 74 Prozent unter Dänen, Franzosen, Niederländern und Portugiesen, nicht aber die Errichtung von Minaretten. Diese werden lediglich in den Niederlanden und in Portugal von einer knappen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert. Deutschland ist in beiden Fragen besonders wenig offen für die Präsenz des Islam in der Öffentlichkeit: 65 Prozent der Westdeutschen und 74 Prozent der Ostdeutschen lehnen den Moscheebau ab. Minarette lehnen sogar 75 Prozent im Westen und 80 Prozent im Osten ab.

    Das Misstrauen in der deutschen Gesellschaft gegenüber Muslimen ist deutlich größer als in den anderen Ländern. Mehr als zwei Drittel der deutschen Befragten gab an, Angst davor zu haben, dass unter den Muslimen in Deutschland viele Terroristen sind. Die Überwachung islamischer Gemeinschaften durch den Staat befürworten daher über 70 Prozent der Befragten. Trotz der wenig erfreulichen Ergebnisse für Deutschland macht die Studie auch Hoffnung: Der beste Weg für eine positive Einstellung zu Muslimen ist der persönliche Kontakt.

    Die Studie, die vor der Sarrazin-Debatte durchgeführt wurde, hat Prof. Dr. Detlef Pollack geleitet. Mehr Informationen zur Studie gibt es hier: http://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2010/dez/PM_Studie_Religioese_Vielfalt_in_Europa.html

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.