Aktuell wird meine alte Schule, das Graf-Stauffenberg-Gymnasium in Osnabrück, dafür kritisiert, dass sie dulden wird, wenn muslimische Schülerinnen nicht am gemeinsamen Schwimmunterricht von Jungen und Mädchen teilnehmen. Brisant ist diese Äußerung deshalb, weil er vor wenigen Wochen das Bundesverwaltungsgericht entschieden hatte, dass eine Befreiung vom Unterricht aus religiösen Gründen nicht zulässig ist – sehr wohl aber das Tragen eines den Körper verhüllenden Burkinis.
Wer nun die Schule kritisiert, macht es sich in meinen Augen zu einfach. Wie soll die Schule den gemeinsamen Unterricht erzwingen? Lehrer dürfen zu Recht keine Gewalt gegen ihre Schüler ausüben. Sollen dann künftig Polizeibeamte verweigernde Schülerinnen von zu Hause oder aus der Pausenhalle abholen, umziehen und ins Wasser zerren? Zu viele gehen meines Erachtens davon aus, dass jede Schülerin (ganz gleich welchen Bekenntnisses) davon begeistert ist, am koedukativen Schwimmunterricht teilzunehmen. Selbst wenn Schülerinnen nicht wollen, wird unterstellt, dieser Unterricht sei das Beste für sie. Eine solche Unterstellung kann hoch gefährlich sein, wenn sie zu einer erzwungenen „Befreiung“ führt.
Was bei wenigen muslimischen Mädchen, die nicht am Schwimmunterricht teilnehmen wollen, gleich an Skandal ist, ist an meist christlichen monoedukativen Schulen gesellschaftlich anerkannt: An über 120 Mädchenschulen und mindestens 19 Jungenschulen wird deutschlandweit nach Geschlecht getrennt unterrichtet. Wer nach geschlechtergetrennten Parallelgesellschaften sucht, müsste eigentlich dort anfangen, wo die strikteste Trennung herrscht. Die Geschlechtertrennung findet darüber hinaus auch an koedukativen Schulen immer mal wieder statt: Im Sportunterricht, in den Naturwissenschaften und in anderen Fächern. Die einen bezeichnen den gemeinsamen Unterricht als förderlich für die Mädchen, die anderen den getrennten. Letztlich lassen sich beide Vermutungen kaum empirisch belegen.
Wer also liegt richtig? Dürfen Mädchen zu ihrem „Glück“ gezwungen werden? Oder muss der Staat das Fernbleiben hinnehmen? Die Schule als Ort der Erziehung ist immer umkämpft und Spielball von Kulturkämpfen. Viele gesellschaftliche Probleme werden stellvertretend in der Schule bearbeitet – ich wage nicht „gelöst“ zu sagen. Sinn und Zweck der Schule ist es in meinen Augen aber nicht, gesellschaftliche Wunschbilder von Außenstehenden zu verwirklichen, sondern ein Angebot des Staates für Schüler und ihre Eltern zu sein. Der Staat ist ein Instrument seiner Bürger, aller seiner Bürger, gleich welchen Bekenntnisses. Die Schüler dürfen daher keine Verfügungsmasse des Staates oder politischer Mehrheiten sein. Der Staat hat ein vielfältiges Angebot zu gewährleisten, aus dem die Schüler und ihre Eltern wählen können.
Wem es tatsächlich darum geht, dass die betroffenen Mädchen schwimmen können, sollte entsprechende Angebote schaffen. Wer den Schwimmunterricht nicht vollständig trennen will, kann neben dem koedukativen Unterricht auch monoedukativen anbieten. Wenn dies nicht an einer Schule allein gelingt, kann auch mit anderen Schulen kooperiert werden. Am Graf-Stauffenberg-Gymnasium war dies während meiner Schulzeit der Fall: Der Physik- und der Musikleistungskurs wurden in Kooperation mit anderen Schulen der Stadt angeboten, damit eine entsprechende Teilnehmerzahl erreicht werden konnte. Freilich hat dabei niemand einer vermeintlichen Spaltung der Gesellschaft das Wort geredet.
Wird Deutschlands Freiheit also am Beckenrand verteidigt? Es wird sich zeigen, ob die deutschen Schulen ein bloßer Ort der (Um-)Erziehung sind oder ob sie Orte der Freiheit sind, an denen jedem geholfen wird, sich gemäß seiner eigenen Wünsche und Werte zu entfalten.