Steht die Trennung von Staat und Kirche im Grundgesetz?

    Die Befürworter einer möglichst strikten Trennung von Staat und Kirchen verweisen häufig auf ein vermeintliches Trennungsgebot im Grundgesetz: „Es besteht keine Staatskirche.“ (So auch kürzlich die Zeit).

    Neben der Ablehnung des Staatskirchentums finden wir im Grundgesetz zahlreiche Bestimmungen zur Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen: Die Verleihung des Körperschaftsstatus, der Einzug der Kirchensteuer, der Schutz der Feiertage und die Anstaltsseelsorge werden in dem gleichen Bündel von Artikeln der Weimarer Reichsverfassung (136-141) garantiert, in dem sich auch der Satz findet „Es besteht keine Staatskirche.“ Dieses Bündel ist durch Artikel 140 Teil des Grundgesetzes. Bereits in der Weimarer Verfassung waren das Nichtvorhandensein einer Staatskirche und die Kooperation des Staates mit den Kirchen keine Widersprüche. 1949 wurden im Grundgesetz darüber hinaus noch der Religionsunterricht (Art. 7) und die Fortgeltung der Verträge mit den Kirchen garantiert. Auch hier bilden die Formulierungen keinen Widerspruch. Aus dem Zusammenhang in den Verfassungen wird deutlich, dass eine strikte Trennung nicht mit der Formulierung „Es besteht keine Staatskirche.“ gemeint sein kann.

    Bis zum Ende der Monarchie in Deutschland übten die Landesfürsten Kontrolle über die Kirchen in ihren Gebieten aus. Im Falle der evangelischen Kirchen geschah dies sehr offen, im Falle der katholischen Kirche mehr oder weniger subtil. Die Kontrolle des Staates über die Kirchen wollten einige mehrheitlich evangelisch geprägte Länder auch in der Weimarer Republik erhalten. In der Lübeckischen Landesverfassung lesen wir: „Zum Wirkungskreise des Senates gehören […] die Aufsicht über das Vermögen der anerkannten Religionsgemeinschaften und die Wahrnehmung der Rechte des Staates in kirchlichen Angelegenheiten“ (Art. 45). In der Verfassung des Freistaates Sachsen steht geschrieben: „Die Regierung übt die staatliche Aufsicht über die Religionsgesellschaften nach den Landesgesetzen aus.“ (Art. 50)

    Am ausführlichsten regelt die Verfassung des Freistaats Preußen den Versuch des Erhalts der Staatskirche: „(1) Die Befugnisse, die nach den früheren Gesetzen, Verordnungen und Verträgen dem Könige zustanden, gehen auf das Staatsministerium über. (2) Die Rechte, die dem König als Träger des landesherrlichen Kirchenregiments zustanden, werden von drei durch das Staatsministerium zu bestimmenden Ministern evangelischen Glaubens ausgeübt, solange nicht die evangelischen Kirchen diese Rechte durch staatsgesetzlich bestätigte Kirchengesetze auf kirchliche Organe übertragen haben. (3) Die sonstigen bisher vom Könige gegenüber den Religionsgesellschaften ausgeübten Rechte werden im Sinne des Artikel 137 der Reichsverfassung neu geregelt.“ (Art.  82). Die preußische Verfassung greift hierbei sogar das vermeintliche Trennungsgebot aus der Weimarer Reichsverfassung auf (Art. 137), wohlweislich, dass dieser im Konflikt zu den Kontrollansprüchen des Staates steht.

    „Es besteht keine Staatskirche.“ bedeutet daher schlicht, dass der Staat keine Kirche als seine eigene kontrollieren darf. Über eine partnerschaftliche Zusammenarbeit sagt er nichts. Die Zusammenarbeit ist aber (wie unter 1.) gezeigt wurde) explizit im Grundgesetz verbrieft.

    Die Garantie der Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen im Grundgesetz erlaubt indes keine privilegierte Partnerschaft. Der Staat muss mit allen Religionsgemeinschaften und auch den säkularen Weltanschauungsgemeinschaften gleichberechtigt zusammenarbeiten. Klar wird dies aus Art. 3: „Niemand darf wegen […] seiner […] religiösen […] Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“, Art.  33 „Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.“ sowie Art. 140 i.V.M. Art. 137 WRV „Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.“

    Die beiden großen Kirchen werden gegenüber kleineren Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften jedoch oftmals stark bevorteilt. Diese Bevorzugung verstößt gegen unser Grundgesetz, nicht die Kooperation des Staates mit den Kirchen als solche.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.