Bayerische Schulen dürfen Schülerinnen verbieten, einen Gesichtsschleier zu tragen. Das hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am 25.04. entschieden. Geklagt hatte eine Schülerin einer Berufsschule, die den so genannten Niqab tragen wollte, der das Gesicht bis auf die Augenpartie verdeckt.
Das Urteil und seine Begründung halte ich für hoch problematisch. Da ist zuerst einmal das Argument, durch den Niqab würden „nonverbale Elemente, wie Mimik, Gestik und die übrige sog. Körpersprache […] im Wesentlichen unterbunden“. In der Tat verhüllt der Niqab einen Teil der Mimik vor dem Lehrer. Dennoch bleiben die Augen – die nicht ohne Grund als Spiegel der Seele gelten – unverhüllt.
Körperhaltung und Gestik werden durch den Niqab nicht unterbunden
Auch Körperhaltung und Gestik werden durch den Niqab nicht unterbunden. Die Richter scheinen den Niqab mit einer großen Dunkelkammer verwechselt zu haben, in der tatsächlich nichts mehr sichtbar wäre. Wenn wir uns manche Berichte vor Augen halten, dass nicht wenige Lehrer Schüler aufgrund ihres Äußeren diskrimieren („Aus einem Kevin kann nichts werden.“), wäre eine solche Dunkelkammer indes vielleicht sogar ganz hilfreich.
Die Wahrnehmung nonverbaler Kommunikation ist überdies nicht nur durch den Niqab erschwert, sondern bspw. auch bei blinden und tauben Schülern sowie bei sehschwachen Lehrern. Inwieweit dadurch „die offene Kommunikation als schulisches Funktionserfordernis gestört“ ist und ob Unterricht nach dieser Logik noch möglich ist, ist eine spannende Frage. Wie „offen“ im Übrigen die Unterrichtskommunikation ist, wenn Schülerinnen staatlicherseits zwangsentkleidet werden, ist ebenfalls fraglich.
Frankreich zeigt, dass Verhüllungsverbote keineswegs dazu führen, dass alle Schülerinnen unverhüllt am Unterricht teilnehmen
Vollkommen abwegig argumentiert das Gericht, wenn es die Einschränkung der Religionsfreiheit der Schülerin mit dem Gebot der „Durchführung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags“ rechtfertigt. Eine Schülerin mit Gesichtsschleier könne nicht unterrichtet werden, daher müsse sie ihn abnehmen. Das mag in der Theorie funktionieren, aber nicht in der Praxis. Das Beispiel Frankreich zeigt, dass Verhüllungsverbote keineswegs dazu führen, dass alle Schülerinnen unverhüllt am Unterricht teilnehmen. Etliche Schülerinnen weichen dem Enthüllungsgebot aus, indem sie private Schulen besuchen oder zu Hause unterrichtet werden.
Was – vielleicht wohlmeinend – der Ermöglichung von Bildung und Erziehung dienen soll, führt daher stattdessen zum genauen Gegenteil: zum Ausschluss von Bildung und Erziehung. Was genau an Integration und Teilhabe gewonnen ist, wenn eine Schülerin, die sich verschleiern möchte, eben nicht zur Schule geht, hat das Gericht nicht beantwortet.
Offenheit und Kommunikation werden nicht durch Verbote erreicht, sondern durch das Ermöglichen von Teilhabe
Offenheit und Kommunikation werden nicht durch Verbote erreicht, sondern durch das Ermöglichen von Teilhabe. Gerade ein Bundesland wie Bayern, das Religion so sehr wertschätzt, dass es sich über den Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts seit Jahren hinwegsetzt, sollte hier sensibler sein. Religionsfreiheit gilt in Bayern aber wohl nur für das christliche Bekenntnis und weder für Muslime noch für Nichtreligiöse.