Religion in der Volkszählung 2011

    Wer in diesem Jahr an der Volkszählung teilnimmt, wird in Frage 7 nach seiner Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Glaubensgemeinschaft gefragt. Diese Frage ist bei Volkszählungen üblich und wurde auch in vergangenen Jahren gestellt.

    Im Jahr 2011 wird die Religion jedoch nicht allein über die Frage nach der formalen religiösen Zugehörigkeit erhoben. Während alle bei Frage 7 zunächst ihren offiziellen Mitgliedschaftsstatus angeben, werden nur diejenigen, die keiner öffentlich-rechtlichen Glaubensgemeinschaft angehören, anschließend in Frage 8 aufgefordert, sich zum Bekenntnis zu einer Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung zu positionieren. Dabei ist die Beantwortung der Frage 8 freiwillig.

    Ein solcher Filter wird bei einer Befragung gewöhnlich dann verwendet, wenn ein Bereich näher untersucht werden soll, der rein sachlogisch nur bei einer bestimmten Gruppe erfragt werden kann. Das bedeutet für Frage 8 der Volkszählung, dass die Bekenntnisfrage zur nähere Bestimmung der religiösen Zugehörigkeit für die Gruppe derjenigen, die keiner öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft angehören, dienen soll. Neben dem Christen- und Judentum wird in Frage 8 deshalb auch nach verschiedenen Ausrichtungen des Islam sowie Buddhismus und Hinduismus gefragt.

    Dabei wird übersehen, dass die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft etwas anderes ist als ein religiöses Bekenntnis. Denn die formale Zugehörigkeit bedeutet nicht unbedingt, dass jemand tatsächlich gläubig ist. Anders ausgedrückt: Wer einer Glaubensgemeinschaft angehört, muss sich nicht zwangsläufig auch zu ihr bekennen.[pullquote_right]Dabei wird übersehen, dass die Zugehörigkeit zu einer Religions- gemeinschaft etwas anderes ist als ein religiöses Bekenntnis.[/pullquote_right]Ein Bekenntnis setzt aber genau diesen Glauben in gewissem Maß voraus. Atheisten mit Mitgliedschaft fallen somit durch das Raster. Ihnen wird unausgesprochen unterstellt, die hinter der Zugehörigkeit stehenden Lehren und Überzeugungen auch zu vertreten und zu bekennen.

    In gewissem Maße scheint man sich über diesen Unterschied auch bei der Volkszählung bewusst zu sein. Schließlich gibt man Menschen, die keiner Konfession angehören, die Möglichkeit, sich auch zum Christen- oder Judentum zu bekennen. Bei Befragten, die kein Mitglied der Kirchen oder jüdischen Gemeinden sind, und sich bei Frage 8 aber zum Christen- oder Judentum bekennen, wird dann erkennbar der Glaube gemessen.

    Das dürfte insbesondere bei Muslimen, Buddhisten und Hinduisten anders sein. Sie konnten ihre Zugehörigkeit bei Frage 7 nicht angeben. Deshalb kann es sein, dass sie Frage 8 doch in erster Linie als Zugehörigkeitsfrage interpretieren. Damit würde die Bekenntnisfrage beim Christen- und Judentum etwas anderes messen als beim Islam, Hinduismus und Buddhismus.

    Ein weiteres Problem ist die Gleichsetzung von Religion und Weltanschauung, wie sie in der Frage zum Bekenntnis vorliegt. Es mag sein, dass jede Religion eine Weltanschauung darstellt bzw. beinhaltet. Aber nicht jede Weltanschauung muss automatisch mit Religion zusammenhängen. Die Antwortmöglichkeit „Sonstige Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung“ lässt auch Raum für solche Anschauungen, die eben nicht (mehr) unmittelbar mit Religion in Verbindung stehen. Denn auch etwa Sozialismus, Humanismus oder selbst überzeugter Atheismus können als Weltanschauungen verstanden und vertreten werden. Somit ist die Gruppe der Atheisten selbst unter den Konfessionslosen nicht zweifelsfrei identifizierbar, was die Vergleichbarkeit beider Fragen zusätzlich verringert.

    Im Endergebnis läuft die Kombination beider Fragen Gefahr, die Ergebnisse zur Religion zu verzerren. Der Versuch, auch nicht öffentlich-rechtliche Glaubensgemeinschaften zu erfassen, ist sicher richtig und wichtig. Aber wenn religiöse Bekenntnisse und die religiöse Zugehörigkeit gleichgesetzt werden und darüber hinaus auch potentiell nichtreligiöse Weltanschauungen Berücksichtigung finden, so wird eines damit bestimmt nicht erreicht: eine präzise Erfassung der religiösen Landschaft in Deutschland.

    Nils Friedrichs, Jahrgang 1982, ist Soziologe und hat als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gearbeitet. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich der quantitativen Religionsforschung besonders auf dem Gebiet der "Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt in Deutschland".