Papst Benedikt XVI.: Trennung von Kirche und Staat, aber nicht von Politik und Religion

    Atheistische und laizistische Organisationen überbieten sich derzeit in ihrer Unterstützung für den Papstes. Bis vor kurzem hatten sie seinen Besuch in Deutschland noch massiv kritisiert. Dass er vor dem Bundestag reden durfte, stuften sie als Verletzung des Trennungsgebots von Staat und Kirche ein. Seit seiner Ansprache im Freiburger Konzerthaus hingegen wird er als Autorität für die Unterstützung einer Trennung von Staat und Kirche angeführt. Während der Benedikt XVI. in Berlin im Zentrum des deutschen Staates gesprochen hat, geht er in Freiburg auf deutliche Distanz zum Staat. Wer darin ein Umdenken des Papstes nach der Kritik der Laizisten sieht, könnte jedoch nicht stärker irren.

    In der Tat sprach sich der Papst für eine Entweltlichung seiner Kirche aus. Wörtlich sagte er: „Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben.“ Er ging nicht darauf ein, auf welche Privilegien konkret verzichten solle (Kirchensteuer, Religionsunterricht, theologische Fakultäten, Steuerbefreiungen usw.). Allerdings kann von einem weitgehenden Verzicht ausgegangen werden. Denn die Säkularisierungen im Laufe der Kirchengeschichte, deren Folgen Benedikt XVI. begrüßte, waren umwälzender Natur.

    [pullquote_right]Der Papst hat in seiner Freiburger Ansprache taktisches Handeln für seine Kirche abgelehnt. Sein Blick reicht viel weiter: Er denkt strategisch.[/pullquote_right]Zu denken ist hierbei insbesondere an den Reichsdeputationshauptschluss von 1803, der die katholischen Bischöfe ihrer Herrschaftsgewalt entledigte und sie von Landesherren zu rein geistlichen Amtsträgern machte. Weite Teile der bischöflichen Vermögen wurden damals den Fürsten übertragen. Wer nun aber meint, Laizisten und der Papst verfolgten dasselbe Ziel, irrt gewaltig.  Denn nur in der mittleren Frist schwächte die Säkularisierung die katholische Kirche in Deutschland. Wenige Jahrzehnte war den deutschen Katholiken ihre Kirche wichtiger als jemals zuvor, sie gründeten katholische Vereine, die alle gesellschaftlichen Bereiche umfassten und sogar katholische Parteien. Von der Wiege bis zur Bahre lebten sie in einem katholischen Milieu. Heutige Ansätze muslimischer „Parallelgesellschaften“ sind nichts dagegen. Die Entweltlichung der Kirche führte also keineswegs zu einem Verschwinden der Religion, sondern in der mittleren Frist sogar zu ihrem Erstarken.

    Einen ähnlichen Prozess beobachten wir seit zweihundert Jahren in den USA. Die strikte Trennung von Staat und Kirche haben dort insbesondere religiöse Gruppen verfochten, nicht nur Atheisten. Das Ergebnis der Trennung ist eine religiöse Vielfalt und Vitalität, die ihresgleichen in der westlichen Welt sucht. Am Beispiel der USA lässt sich auch zeigen, dass eine Trennung von Staat und Kirche nicht mit einer Trennung von Politik und Religion verwechselt werden darf. Religiöse Gemeinschaften haben in den USA großen Einfluss. Der Einfluss der Christlichen Rechten ist über die letzten Jahrzehnten spürbar gewachsen. Die politische Kultur der USA ist aber seit ihrem Bestehen religiös geprägt. Alle Präsidenten haben ihren Amtseid auf die Bibel geschworen, die Sitzungen des Kongresses werden von Hausgeistlichen eröffnet und die allermeisten Amerikaner können sich nicht vorstellen, einen Atheisten zum Präsidenten zu wählen.

    Der Papst hat in seiner Freiburger Ansprache taktisches Handeln für seine Kirche abgelehnt. Sein Blick reicht viel weiter: Er denkt strategisch. Seine Perspektive umfasst Jahrhunderte und weit mehr als nur Europa. Wer die Äußerungen des Papstes zum Verhältnis von Staat und Religion während seines Deutschlandsbesuchs besser verstehen will, muss die Entwicklungen in Deutschland nach 1803 und die Situation in den USA vor Augen haben. Ein Verzicht auf Privilegien stellt keinesfalls einen Verzicht auf ein öffentliches Wirken der Kirche dar. Ganz im Gegenteil: In einer vom Staat getrennten Kirche sieht der Papst die größte Chance, christlichen Glauben und christliches Handeln in die Gesellschaft und damit letztlich in die Politik zu tragen. Diesen Anspruch hat er unmissverständlich klar gemacht, als er zu Beginn seiner Rede vor dem Bundestag betonte, dass er vor diesem nicht als Vertreter des Vatikanstaats, sondern als religiöses Oberhaupt der katholischen Kirche spreche.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.