Studie: Misstrauen gegenüber Muslimen, Atheisten und Juden

    Der gestern erschienene Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung erlaubt uns Einblicke, wie die Deutschen die Religionen und Weltanschauungen in unserem Land sehen. Grundsätzlich sind die Deutschen sehr offen für andere Religionen, so äußerten sich zumindest 80 % der Befragten. Nur 15 % der Westdeutschen und 20 % der Ostdeutschen sagen, dass Religion eher schädlich ist. Um die 60 % der Deutschen sehen die religiöse Vielfalt in Deutschland sogar als Bereicherung an.

    Allerdings liegt auch der Anteil derjenigen, die Religion für eine Ursache von Konflikten halten, bei etwa 60 %. Die Autoren der Studie, Prof. Dr. Detlef Pollack und Dr. Olaf Müller, merken hierzu an, dass die grundsätzliche Offenheit der Deutschen nicht im Widerspruch zu einer realistischen Einschätzung in Bezug auf gesellschaftliche Vielfalt steht. Auch wenn Religion und religiöse Vielfalt von den Deutschen eher positiv bewertet werden, so begrüßen sie doch nicht alle Religionen und Weltanschauungen in gleichem Maße.

    Den Islam nimmt jeder zweite Deutsche als Bedrohung wahr. Jeder Dritte Westdeutsche sieht den Atheismus als Bedrohung an. Selbst in Ostdeutschland bezeichnen 16 % Atheismus als bedrohlich. In West wie Ost empfinden 19 % das Judentum als Bedrohung. Christentum, Buddhismus und Hinduismus werden hingegen nur von jeweils etwa 10 % gefürchtet. Auffallend ist, dass jede Religion oder Weltanschauung zumindest von einer Minderheit der Bevölkerung als bedrohlich eingestuft wird. Jeder Bundesbürger ist dadurch potentiell Misstrauen und Diskriminierung ausgesetzt.

    Als Bereicherung empfinden die Deutschen vor allem das Christentum – im Westen 76 %, im Osten 64 %. Auf Platz 2 der Beliebtheitsskala folgt der Buddhismus, den 62 % im Westen und 46 % im Osten attestieren, er sei eine Bereicherung. Das Judentum empfindet jeder Zweite in Deutschland bereichernd. Der Hinduismus hat ähnliche Beliebtheitswerte. Abgeschlagen sind der Atheismus und der Islam: Zwar halten 49 % der Ostdeutschen den Atheismus für eine Bereicherung, aber nur 34 % der Westdeutschen. Der Islam wird gar nur von 31 % der Westdeutschen und 21 % der Ostdeutschen als förderlich eingestuft.

    Trotz der grundsätzlichen Offenheit gegenüber anderen Religionen insgesamt nimmt die Wertschätzung doch deutlich ab, sobald nach konkreten Religionen gefragt wird. Insbesondere der Islam und das Judentum, aber auch der Atheismus als Nichtreligion haben hier einen schweren Stand. Interessant wäre nun, wie die Deutschen einzelne kleinere Religionsgemeinschaften einschätzen. Wie sehen die Deutschen Altkatholiken, Mormonen, Bahai, Jehovas Zeugen oder Milli Görüs? Wie viele sehen diese Gemeinschaften, von denen manche als gefährliche „Sekten“ bezeichnet werden, als Bereicherung an? Auf diese Fragen gibt die Studie der Bertelsmann Stiftung leider keine Antwort.

    Jenseits allgemeiner Bekenntnisse zur Vielfalt zeigt sich tatsächliche Toleranz erst im Konkreten. Die Studie deutet darauf hin, dass die Toleranz bislang umso größer ist, je abstrakter die Gruppe ist – und umgekehrt desto geringer, je konkreter bestimmte Gruppen eingegrenzt werden. Ich maße mir vermutlich nicht zu viel an, wenn ich sage: Wir haben noch viel zu tun, um eine tolerante Gesellschaft nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis zu werden.

    Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.