Mehr Religion wagen: Grüne Kommission zu „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ stellt Ergebnisse vor

    Wie halten es die Grünen mit der Religion? Diese Frage stellt sich, seit der grüne Bundesvorstand im Dezember 2013 die Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ eingesetzt hat. Erste Antworten gab es vergangenes Wochenende in Düsseldorf. Auf ihrem religionspolitischen Kongress stellte die Kommission Zwischenergebnisse vor und suchte das Gespräch mit Wissenschaftlern und Vertretern von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.

    Der säkulare deutsche Staat ist weltanschaulich neutral, arbeitet jedoch eng mit den Religionsgemeinschaften zusammen. Das zeigt sich bei der Kirchensteuer genauso wie beim Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Voraussetzung hierfür ist laut Grundgesetz der Status als anerkannte Religionsgemeinschaft bzw. als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Kommission der Grünen hält im Kern an diesem kooperativen Modell fest, möchte es jedoch in Teilen weiterentwickeln.

    Eine Reform des bestehenden Modells sei notwendig, um dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung zu tragen, sagte Bettina Jarasch, Leiterin der grünen Kommission, in ihrer Eröffnungsrede. Das religiöse Feld ist pluraler als je zuvor zuvor. Neben Freikirchen und islamischen Verbänden, nehme auch die Relevanz von weltanschaulichen Gruppen wie dem humanistischen Verband zu. Auf der Ebene der Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften bildet sich diese Pluralität derzeit jedoch noch nicht ab. Hier sind es – bis auf wenige Ausnahmen – nach wie vor die beiden großen christlichen Kirchen, die über ihren Körperschaftsstatus in besonderer Weise von der Zusammenarbeit mit dem deutschen Staat profitieren. Die Kommission fordert demgegenüber die Gleichbehandlung aller religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften.

    Die Grüne Kommission steuert offenbar auf ein integratives Modell zu

    Auf dem Weg zu mehr Gleichbehandlung wären im Prinzip zwei Modelle denkbar: Entweder werden die derzeit außen stehenden Gruppen in das kooperative Modell integriert, oder die Kooperation zwischen Staat und Kirchen wird eingeschränkt oder gar ganz aufgehoben. Letzteres würde nicht bedeuten, dass der Staat zukünftig neutral wäre, wohl aber, dass die Gleichbehandlung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gestärkt würde. Die grüne Kommission steuert jedoch offenbar auf ein integratives Modell zu – trotz der Kritik säkularer Zusammenschlüsse innerhalb der Partei. Eine stärkere Entflechtung von Staat und Kirchen wird nur in Teilbereichen, wie etwa dem Arbeitsrecht, in Aussicht gestellt.

    Tatsächlich gibt es gute Gründe dafür, das kooperative Modell beizubehalten und die Integration anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu stärken. Zunächst aus realpolitischen Überlegungen: Um die Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften zu kippen, braucht es eine Grundgesetzänderung und damit eine Zweitdrittelmehrheit im Bundestag. Eine Grundgesetzänderung, die unter anderem die Abschaffung des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts zur Folge hätte, ist jedoch auf absehbare Zeit unrealistisch. Die Folge daraus: Da machtpolitisch der Entzug von Vorteilen für die etablierten Gruppen nicht zu haben ist, müssen im Sinne der Gleichbehandlung die derzeit Außenstehenden gestärkt werden – Religionspolitik als Minderheitenpolitik.

    Religion ist ein relevanter Teil der Öffentlichkeit

    Das beträfe die islamischen Verbände genauso wie den humanistischen Verband. Sie erhielten etwa die Möglichkeit Religions- und Weltanschaungsunterricht anzubieten. In einigen Bundesländern gibt es diese Angebote bereits. „Die Schule ist die Schule der Nation“, zitierte Sigrid Beer, die Sprecherin für Schulpolitik der Grünen Landtagsfraktion NRW, in einer der Diskussionsrunden Willy Brandt. Religion, so sieht es die Mehrheit der grünen Kommission, ist ein relevanter Teil von Öffentlichkeit, also muss sie auch in der Öffentlichkeit stattfinden – und damit auch in der Schule. Und das nicht allein zur Erlernung von Wissen über Religion, etwa im Rahmen von Religionskunde, sondern als identitätsstiftender, bekenntnisorientierter Unterricht. Das grüne Motto ist also offenbar: Mehr Religion wagen.

    Religionskritiker und Laizisten werden sich in einer solchen Politik sicher nicht wiederfinden. Dabei spielte Misstrauen gegenüber den Religionen auch auf dem religionspolitischen Kongress der Grünen durchaus eine Rolle. Der Verweis auf die Gefahren von Religion wurde überhaupt immer wieder zum Argument für die Einbindung der Religionsgemeinschaften. Bereits der Eröffnungsredner Micha Brumlik, Herausgeber der Blätter für Internationale Politik, sprach hier von einer „zivilisierenden Funktion“. Bettina Jarasch sieht im kooperativen Modell ein Mittel „gegen Extremismus“ und gab zu bedenken, Religion nicht „im Geheimen“ stattfinden zu lassen. Und Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik, setzt auf bekenntnisorientierten Islamunterricht zur Prävention gegen die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher. An einer Begründung, worin der positive Beitrag gerade der islamischen Religionsgemeinschaften liegt, sollten die Grünen noch arbeiten, wollen sie nicht bestehende Ressentiments verstärken.

    Praxis zeigt, wie schwierig es ist, andere Religionsgemeinschaften rechtlich aufzuwerten

    Wie halten es die Grünen also mit der Religion? Erstaunlich offenherzig, kann man sagen. Sollten die kommenden Beschlüsse der Kommission Eingang ins Grüne Programm finden, steht der Partei dennoch schwierige Arbeit bevor. Die Organisationsstärke derer, die in das bestehende System integriert werden sollen, ist schwach. Zudem zeigt sich in der Praxis, wie schwierig ist es, andere Religionsgemeinschaften rechtlich aufzuwerten. Selbst in NRW, wo viel politischer Wille seitens der rot-grünen Landesregierung vorhanden ist, musste man sich bei der Einführung islamischen Religionsunterrichts mit einem Übergangsmodell behelfen. Zu Ressourcengleichheit und einem „Dialog auf Augenhöhe“, wie ihn der Präsident des Humanistischen Verbandes Frieder Otto Wolf von den Grünen forderte, ist es damit noch ein weiter Weg.

    Severin Caspari ist Politikwissenschaflter und Journalist.