Konkordate sind wie Reusenfallen für Mäuse

    Religionspolitik muss durch Parlamente änderbar sein – das ist einer der Grundsätze Offener Religionspolitik. Die Verträge aber, die die Kirchen mit dem Staat schließen, hebeln diesen demokratischen Grundsatz meisterhaft aus.

    [pullquote_right]Sie müssen sich die Verträge vorstellen wie Reusenfallen für Mäuse: Die Maus kommt kinderleicht hinein, aber ohne Hilfe von außen nicht mehr heraus.[/pullquote_right]Sie müssen sich die Verträge vorstellen wie Reusenfallen für Mäuse: Die Maus kommt kinderleicht hinein, aber ohne Hilfe von außen nicht mehr heraus. Bei den Verträgen verhält es sich ebenso: Sie werden von den Landesparlamenten mit einfacher Mehrheit beschlossen – geändert werden können sie aber nur noch mit der Zustimmung der unterzeichnenden Kirche. Sobald sich im Parlament eine Mehrheit findet, die einer Kirche besonders wohl gesonnen ist, kann sie einen Vertrag mit dieser schließen. Der kann danach von keiner abweichenden Parlamentsmehrheit mehr zurückgenommen werden– denn das verhindert die Kirche mit ihrem Veto. So können die Staatsleistungen an die Kirchen zwar immer wieder vergleichsweise einfach erhöht werden. Verringert werden können sie aber nur unter Zustimmung der Kirche. Ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt. Anstatt die Verträge und Konkordate nur zu überarbeiten (wie kürzlich in Bayern), sollten sie abgeschafft werden. Die Kirchen sollten zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stehen und in die Ablösung der Verträge einwilligen.

    Abgelöst werden müssen auch die 460 Millionen Euro pro Jahr, die die Bundesländer an die beiden großen Kirchen zahlen. Begründet werden diese mit den Teilenteignungen der großen Kirchen nach dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803. Wohlgemerkt handelt es sich dabei um Teil(!)-enteignungen. Der Besitz der Pfarreien bspw. blieb nahezu unangetastet. Die Kirchen sind nach wie vor die größten Grundstückseigentümer nach dem Staat. Die 460 Millionen Euro werden von den Kirchen als Entschädigung für die Rendite angesehen, die die Kirchen ohne die Enteignung eingefahren hätten. 460 Millionen Euro pro Jahr! Ich möchte fast sagen: Finanziell gesehen ist die Enteignung der Kirche das Beste gewesen, was ihr hätte passieren können. Übrigens tat die Säkularisation der Kirche auch in ihrer inneren Verfassung gut: Zwar verdammen Historiker wie Karl Otmar Freiherr von Aretin die Säkularisation von 1803 als „die größte Katastrophe, die den deutschen Katholizismus je getroffen hat“, aber zugleich bildet sie den Auftakt für das katholischste Jahrhundert auf dem heutigen Gebiet der Bundesrepublik.

    Die Kirchen führen immer wieder das Argument an, der Staat könne sich eine Ablösung der Staatsleistungen gar nicht erlauben. Dazu fehle ihm das Geld, denn den Kirchen müsste einmalig eine extrem hohe Ablösesumme gezahlt werden. Mein Vorschlag ist, die Staatsleistungen nicht durch eine Einmalzahlung abzulösen. Stattdessen schlage ich eine Förderung vor, die allen Bekenntnisgemeinschaften zu Gute kommt. Denn die großen Kirchen waren nicht die einzigen Gemeinschaften, die vom Staat enteignet wurden: Fast alle kleinen Bekenntnisgemeinschaften (einschließlich der Nichtreligiösen) wurden in der Geschichte vom Staat zusammen mit einer der großen Kirchen verfolgt und enteignet. Eine Entschädigung hierfür ist aber nicht in Sicht.

    Die staatlichen Zuschüsse an die Bekenntnisgemeinschaften sollten so reformiert werden, dass sie zur Förderung bürgergesellschaftlichen Engagements werden. Sie sollten pro Erwachsenem an die Gemeinschaften ausgezahlt werden, sofern sie nicht verfassungsfeindlich sind. Dadurch wird die Praxis der Verträge und Konkordate abgeschafft, durch die die Zahlungen des Staates an die Kirchen jedes Jahr ansteigen, obwohl deren Mitgliederzahlen kontinuierlich sinken. Die allgemeine Höhe der Zuschüsse sollen die Parlamente festlegen. Die Auszahlungen sollen von dem Zuspruch abhängen, den die Bekenntnisgemeinschaften in der Bevölkerung erfahren. Auf eine derartige Ablösung sollten sich die beiden großen Kirchen einlassen können. Sie sollten mehr Demokratie wagen.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.