(Keine) Bewegung in der Kopftuchfrage?

    von Sven W. Speer

    Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 8.11. ist weit weniger bahnbrechend, als manch eine Überschrift dieser Tage glauben machen will. Das Gericht hat entschieden (Az.: 26 K 5907/12), dass eine muslimische Anwärterin in den Beamtendienst aufgenommen werden muss, obwohl sie – so wirft ihr die Verwaltung vor – gegenüber dem  Kreis Mettmann als zukünftigem Arbeitgeber widersprüchliche Angaben gemacht haben soll: Auf ihrem Bewerbungsbild trug sie kein Kopftuch und habe im Bewerbungsgespräch (währenddessen sie ein Kopftuch trug) angegeben, sie würde im Beamtendienst auf ihr Kopftuch verzichten. Während des Probedienstes trug sie den Hidschab jedoch jahrelang. Der Kreis Mettmann legte ihr dieses Verhalten als mangelnde „charakterliche Eignung“ aus – zu Unrecht, wie nun das Verwaltungsgericht entschieden hat. Die Verwaltung muss die Übernahme der Anwärterin in den Beamtendienst nun erneut prüfen.

    Auch wenn mich dies freut, so bin ich mit den Einzelheiten der Entscheidung doch nicht glücklich. Zuerst einmal gibt das Verwaltungsgericht an, dass der Kreis Mettmann die von ihm behaupteten widersprüchlichen Aussagen zum Kopftuchtragen nicht ausreichend belegen könne. Zwar weist das Gericht die Gefahr ab, dass sich die Verwaltung das Nichttragen des Hidschab künftig schriftlich versichern lässt, indem es klar gestellt hat, dass die Diskriminierung in der Verwaltung außerhalb des Schuldienstes unzulässig ist. Aber die Gefahr besteht, dass muslimische Bewerberinnen für den öffentlichen Dienst künftig allesamt unter den Verdacht geraten, Kopftuch zu tragen, sobald sie ins Beamtenverhältnis übernommen worden sind. Vermutlich würde diese Gefahr sogar bei allen Bewerberinnen mit türkischem oder arabischem Namen gesehen – ganz gleicher welcher Religion oder Weltanschauung sie sich zugehörig fühlen. Denn unsere Gesellschaft hat Differenzierung nicht gerade zur hohen Kunst erhoben.

    Diese Form der Diskriminierung wäre natürlich formal unzulässig, ist letztlich aber nur selten nachzuweisen. Ein Beispiel für die resultierenden Probleme ist das Verbot, dass Arbeitgeber Bewerberinnen nicht nach einer Schwangerschaft oder ihrem Kinderwunsch fragen dürfen. Da Arbeitnehmerinnen in dieser Frage lügen dürfen, werden wohl weit mehr Frauen am Arbeitsmarkt benachteiligt als nur diejenigen, die einen Kinderwunsch tatsächlich in absehbarer Zeit erfüllen möchten. Andererseits ist es Bewerberinnen in dieser Frage nicht zumutbar, in den Fragen nach dem Kinderwunsch und wohl auch im Hinblick auf das Kopftuch (zumindest in der öffentlichen Verwaltung), wahrheitsgemäß zu antworten. Vielleicht bin ich in dieser Frage zu pessimistisch, aber das Bild des Islam im Allgemeinen und des Hidschab im Besonderen ist in der deutschen Öffentlichkeit vielerorts desaströs. Muslimische Frauen sehen sich freilich gleich mit beiden Verdachtsmomenten konfrontiert und sind von beiden Formen der Diskriminierung bedroht.

    Der zweite Schwachpunkt des Urteils besteht darin, dass das Verwaltungsgericht lediglich entschieden hat, dass eine Diskriminierung aufgrund des Kopftuchs nicht möglich ist, da das Grundgesetz die Religionsfreiheit schützt und(!) dass es in Nordrhein-Westfalen nur im Schuldienst ein ausdrückliches Kopftuchverbot gibt. Der Rechtsprechung des Gerichts folgend ist es demnach möglich, das Grundrecht auf Religionsfreiheit der Beamten auf einfachgesetzlichem Wege außer Kraft zu setzen. Berlin beschritt diesen Weg bereits als erstes Bundesland und verbot alle religiösen Symbole im gesamten öffentlichen Dienst. Hoffen wir, dass dieses Beispiel nicht Schule macht. Von tatsächlicher Religionsfreiheit im öffentlichen Dienst kann keine Rede sein. Und ein Ende des Kopftuchstreits ist nicht in Sicht.

    Dr. Sven Speer
    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.