Herr Amsler, Sie engagieren sich von Beginn an im Initiativkreis der Langen Nacht der Religionen in Berlin. Worum geht es dabei?
Wir möchten die religiöse Vielfalt in Berlin sichtbar machen! Berlin hat ja das Image „arm“, aber dafür „sexy“ zu sein. Mehr als anderswo in Deutschland gibt es hier unzählige Nischen, in denen Menschen so leben können, wie sie es für richtig halten. So entsteht Neues, was der Stadt vielfach zugute kommt. Nur wird das landläufig selten auch mit religiösen Lebensentwürfen in Verbindung gebracht.
Manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall, wie im Bezirk Kreuzberg zu sehen war. Dort hatte eine zuständige Abteilung des Bezirksamtes in einzelnen Fällen entschieden, dass Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften und religiöse Feste nicht genehmigt werden könnten. Dieses „Missverständnis“ musste später von der Bezirksbürgermeisterin öffentlich aufgeklärt werden. Das habe ich als peinlich empfunden.
Diese und andere einseitige Diskussionen stehen indes der Lebenswirklichkeit der meisten Berlinerinnen und Berliner fern. Nach Angaben der Senatsverwaltung gibt es hier über 250 verschiedene Kirchen und Religionsgemeinschaften! Und es gibt eine sehr lebendige interreligiöse Szene mit vielen unterschiedlichen Foren und Akteuren auf allen Ebenen.
Religion ist eben auch ein starker Motivator für bürgerschaftliches Engagement und trägt so enorm zum friedlichen Miteinander bei, ganz unabhängig davon, dass ihretwegen in anderen Erdteilen Kriege geführt werden und Menschen leiden müssen. Mit der Langen Nacht der Religionen wollen wir das schiefe Bild einer „Hauptstadt des Atheismus“ gerade rücken und eben die andere Seite von Religion zeigen: ihre Kraft zu einem positiven Wandel, ganz gleich ob im eigenen Leben oder in der Gesellschaft.
Unterschiede in den religiösen Auffassungen über Gott und die Welt werden dabei nicht nivelliert oder verniedlicht. Nur: Wenn ich Vielfalt, auch religiöse Vielfalt, gestalten, also in politische Prozesse überführen will – was diesem Land ja so nottut -, dann muss ich doch zunächst mir diese Vielfalt anschauen so wie sie ist und nicht, wie wir es vielleicht uns wünschen würden mit den ganzen Ins und Outs und Dos und Don’ts – eben sie „sichtbar machen“. Das ist der erste Schritt, den die Lange Nacht der Religionen aus meiner Sicht für Berlin leisten kann. Im vergangenen Jahr haben sich immerhin über 10.000 Menschen an 102 Veranstaltungen unverbindlich über das religiöse Leben in der Hauptstadt informieren wollen.
Die nächste Lange Nacht der Religionen in Berlin wird am Samstag, dem 6. September 2014, stattfinden. Anmeldungen sind noch bis zum 30. April unter http://lndr.de/aktuelles/teilnahmeformular/ möglich. Der Initiativkreis behält sich vor, Anmeldungen zu sichten. Wenn Sie das Projekt einer Langen Nacht der Religionen in Berlin unterstützen möchten, können Sie sich unter http://lndr.de/spenden/ finanziell beteiligen.Peter Amsler (43) ist Vorsitzender des Trägervereins der Langen Nacht der Religionen in Berlin und koordiniert noch bis zum Frühjahr den multireligiös besetzten Initiativkreis, der seit Ende 2011 jährlich die Lange Nacht der Religionen in Berlin vorbereitet. Hauptberuflich ist er Referent für Menschenrechtsfragen beim Nationalen Geistigen Rat der Bahai in Deutschland mit Sitz in Berlin.
Die Lange Nacht erfährt erfreuliche politische Unterstützung und wurde in den vergangenen beiden Jahren durch das Land Berlin finanziert. Auf der Homepage der Langen Nacht der Religionen bitten Sie nun um Spenden, ohne die die Lange Nacht 2014 nicht möglich sein wird. Warum sind neuerdings Spenden nötig und wozu werden sie verwendet?
In den ersten beiden Jahren bekamen wir eine Anschubfinanzierung des Landes. Schirmherr war der Regierende Bürgermeister, der auch in diesem Jahr wieder angefragt ist. Und der Kirchenbeauftragte des Senats und seine Mitarbeiter haben uns engagiert unterstützt. Letzteres ist zwar auch in diesem Jahr wieder der Fall, aber die Finanzierung müssen wir alleine stemmen, da der Anschub auslief. Wir machen nun aus der Not eine Tugend, denn die Lange Nacht ist ja weniger ein Event als vielmehr ein Prozess, der bereits im laufenden Jahr Begegnung schafft und Vertrauen unter den etwa 20 Beteiligten im Initiativkreis und einem weiteren Umfeld aufbaut. Fundraising kommt dem entgegen, denn beim Spendensammeln geht es vor allem um den Aufbau verlässlicher Netzwerke, mithin um den sozialen Zusammenhalt. Jede Spende trägt so zum Communityaufbau bei. Als Plattform dienen uns dabei die Webseiten von Betterplace, Facebook und natürlich unsere eigene Homepage. Und so groß ist unser Budget nun auch wieder nicht, als dass wir dies nicht für realistisch hielten. Wir benötigen Spendengelder für das Programmheft und die Plakate. Vieles andere finanzieren wir durch eigene Spenden oder dank der Bordmittel und dem Einfallsreichtum einzelner Organisationen. Um der Sache einen rechtlichen Rahmen zu geben, haben wir vor einigen Monaten einen eingetragenen Verein gegründet, der als gemeinnützig anerkannt wurde. In 2015 werden wir aber verstärkt Stiftungen angehen und auch eine europäische Vernetzung suchen. Anfragen an uns gibt es dazu schon.
Ändert sich 2014 außer der Finanzierung etwas am Konzept der Langen Nacht?
Wir werden am 6. September nachmittags keine Auftaktveranstaltung im Berliner Rathaus haben, sondern inmitten der Öffentlichkeit eine Lange Tafel der Religionen aufbauen. Wo und wann möchte ich noch nicht mitteilen, da die Planungen dafür gerade erst angelaufen sind. Ansonsten ist das Kontaktbüro der Langen Nacht sehr bemüht, neben den eigentlichen Veranstaltungen am Abend auch Initiativen von Menschen ins Spiel zu holen, die keine organisatorische Anbindung haben. Wir werden bis September zum Beispiel Religionslehrerinnen und -lehrer ansprechen, die die Lange Nacht hervorragend in ihren Unterricht integrieren können. Eine ehrenamtlich arbeitende Behindertenbeauftragte ist so freundlich, die Orte der Langen Nacht auf ihre Barrierefreiheit hin zu untersuchen, sodass wir diese Informationen mit ins Programmheft aufnehmen können. Diese und andere Baustellen runden das Profil eines großen sozialen Projekts mit vielen Beteiligten ab. Wichtig ist mir, dass wir in der Langen Nacht stets in einer Haltung des Lernens an die Vorbereitungen gehen. So wird es naturgemäß stets hier und da Änderungen geben.
Sie gehören den Bahai an, einer in Deutschland sehr kleinen Religionsgemeinschaft. Welche Bedeutung hat die Lange Nacht der Religionen für Sie persönlich und für Ihre Religionsgemeinschaft?
Zunächst einmal muss ich meiner Gemeinde sehr dankbar sein, dass sie mir die Koordinierung der bisherigen Langen Nächte ermöglichte. Diese Arbeit fand Ende 2011 schnell Eingang in mein Portfolio als hauptamtlicher Referent im Berliner Verbindungsbüro der Bahai-Gemeinde in Deutschland. Das weiß ich sehr zu schätzen, denn eigentlich war mein Aufgabenbereich ja ein anderer. Trotzdem bin ich froh, dass im Laufe des Jahres nun jemand anderes den Initiativkreis koordinieren wird, und zwar Dr. Thomas Schimmel vom Verein 1219. e.V. Ich selbst bleibe dem Initiativkreis verbunden und stehe nach wie vor dem Trägerverein der Langen Nacht vor.
Das religionsübergreifende Gespräch ist uns Bahai sehr wichtig, theologisch, aber vor allem auch praktisch. Denn Glaube soll sich in Taten beweisen, nicht so sehr in Worten. Die Menschen sind der Worte müde, glauben wir Bahai. Und auch theologisch ist ja schon alles gesagt bei so vielen unterschiedlichen Religionsstiftungen im Laufe der Menschheitsgeschichte. Nun geht es darum, in dem Dickicht der religiösen Vielfalt ein gemeinsames Verständnis für die Rolle der Religionen in unserer Gesellschaft zu finden. Wir Bahai verfolgen dabei ein stark funktionales Verständnis von Religion. Wenn eine Religion zu Krieg und Streit führt, sei es ein wahrhaft religiöser Akt, diese Religion zu verlassen, heißt es zum Beispiel in unseren Schriften. An ihren Früchten sollen wir sie also erkennen. „Den mystischen Pfad mit praktischen Schritten gehen“, ist ein weiteres Zitat aus den Schriften der Bahai.
Vielleicht lernt die Menschheit gerade miteinander, dass trotz der religiösen Vielfalt es dennoch so etwas wie ein gemeinsamer Glaube gibt, der uns in unserem Menschsein – und als Menschheit – vor Gott vereint, ganz unabhängig von den üblichen äußeren Merkmalen wie der Religionszughörigkeit, der nationalen oder sozialen Herkunft und so weiter. Die Goldene Regel oder Hans Küngs Projekt Weltethos sind dafür gelungene Beispiele. Ein weiteres Beispiel will die Bahai-Gemeinde mit ihren lebensnahen Aktivitäten sein.
Herr Amsler, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sonja Völker.