Inside we‘re the same? – Plädoyer für eine gleichgültige und gleich gültige Toleranz

    Die isländische Band Pollapönk tritt mit dem Song No Prejudice zum Eurovision Song Contest 2014 an. Der Song der bunten Spaßrocker ist schnell ein Ohrwurm. Die politische Botschaft gegen Vorurteile und für Vielfalt ist eingängig. Dennoch sehe ich eine Passage des Songs sehr kritisch.

    Sein zentrales Argument für lautet „Inside we’re the same“ (Innen sind wir gleich). Dadurch wird für mich die eigentlich schöne Botschaft des Songs verkehrt. Die Grundlage für die Gleichheit ist – mal wieder – die Gleichartigkeit. Das Vertraute wird beschworen, um das Fremdartige hinnehmen zu können.

    Unklar bleibt, was das Gemeinsame ist, das der Song hervorhebt. Unser Körper selbst kann es nicht sein, da in dem Song körperliche Unterschiede durch die inneren Gemeinsamkeiten überbrückt werden. Möglich scheinen zwei Zugänge: Gene und Seele. Das Humangenomprojekt hat herausgefunden, dass alle Menschen 99,9 Prozent ihres Erbguts gemeinsam haben. Das ist eine beeindruckende Zahl. Wenn wir daneben legen, dass wir mit Schimpansen jedoch ebenfalls 98,5 Prozent gemeinsam haben, relativiert sich diese Zahl sehr schnell. Eine möglichst nahe Verwandtschaft zum Menschen kann dabei nicht als Glücksfall bezeichnet werden: Ähnlichkeit garantiert nicht etwa Schutz oder gar Rechte, sondern ganz im Gegenteil den verbrauchenden Einsatz (Tierversuche) in der Forschung für Medikamente, Kosmetika etc. Genetische Grenzen bleiben trotz aller Kategorisierungsversuche des Menschen fließend. Das ist das Wesen der Natur. Grenzen, die auf genetischer Ähnlichkeit beruhen, sind damit letztlich willkürlich (auch wenn sie begründet sein mögen) und veränderbar.

    Vielleicht ist es gerade die Angreifbarkeit der biologischen Gleichheit des Menschen, dass sich viele Religiöse auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und seine Seele berufen. Zumindest für Außenstehende der betreffenden Traditionen ist die Zuschreibung einer Seele eine nicht minder willkürliche Setzung als die biologische. Auch hier sind die Grenzen fließend. Wer eine Seele hat und wer nicht, ist historisch durchaus verschieden interpretiert worden. Heutzutage ist die Einigkeit wohl größer als in der Vergangenheit, aber Diskussionen um Schwangerschaftsabbruch und embryonale Stammzellen zeigen, dass die Auffassungen an entscheidenden Punkten noch sehr weit auseinander gehen. Ironischerweise ist auch in diesem Fall die Zuschreibung einer Seele nicht immer hilfreich. Während viele Hundert Tierarten Homosexualität ungestraft ausleben können, werden beseelte Homosexuelle in vielen Staaten der Welt verfolgt, inhaftiert oder gar hingerichtet. Religiöse Autoritäten spielen dabei in der Regel eine mehr als unrühmliche Rolle – von einigen leuchtenden Beispielen der Toleranz abgesehen.

    Mir fehlt es in unseren Diskussionen an einer Position der Indifferenz, die jedem Menschen gleichgültig und gleich gültig tolerant gegenüber tritt. Dafür bietet der Daoismus wunderschöne Inspirationen. Im Daodejing lesen wir: „Das Dao bringt die Einheit hervor. Die Einheit bringt die Zweiheit hervor. Die Zweiheit bringt die Dreiheit hervor. Die Dreiheit bringt die Zehntausend Dinge hervor.“ Die Vielfalt in der Welt (und in der Menschheit) hat dadurch keine hierarchische Ordnung, die durch Schöpfungsreihenfolge oder Evolutionsstufe messbar wäre. Und das Zhuangzi fragt: „Wenn sich ein Mensch an einem feuchten Ort bettet, dann wird seine Hüfte schmerzen, oder er wird halbseitig lahm. Ist dies aber etwa bei einem kleinen Fisch im Flussschlamm ebenso? Wenn ein Mensch auf einem hohen Baum sitzt, dann ist er voller Angst. Ist dies aber etwa bei einem Affen ebenso?“ Diese Gedanken laden ein, weder von sich auf andere zu schließen, noch sich selbst im anderen zu suchen. Die Vermutung liegt nahe, dass jeder Mensch am besten weiß, was gut für ihn ist.

    Toleranz ist erst dann Toleranz, wenn sie nicht mehr voraussetzungsvoll ist, wenn der andere nicht mehr so sein muss wie wir. Erst wenn wir die Fremdheit annehmen, ohne zu werten, wird die Welt friedlicher. Große Konzepte helfen da weit weniger als kleine Fortschritte im Alltag. Dafür jedoch ist der Song aus Island gut geeignet, denke ich. In diesem Sinne: Gute Unterhaltung und gute Wahl!

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.