„Gleichgültigkeit ist fehl am Platz“ – Interview mit Beirat Helmut Fink in diesseits

    Mit freundlicher Genehmigung von diesseits veröffentlichen wir das Interview, das unser Beiratsmitglied Helmut Fink dem Magazin gegeben hat. diesseits ist seit 1987 das auflagenstärkste deutschsprachige Print-Magazin, das sich regelmäßig mit gesellschaftlichen Ereignissen und Fragen aus der Perspektive einer dezidiert humanistischen und säkularen Weltanschauung befasst.

    Seit einigen Wochen ist Helmut Fink, Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, auch im Beirat des Forums Offene Religionspolitik tätig. In dem unabhängigen Forum engagieren sich Christen, Muslime und Humanisten für ein zeitgemäßes Verhältnis zwischen Staat und Religion.

    Was reizt Sie an der Tätigkeit als FOR-Beirat?

    Helmut Fink: Das sind vor allem zwei Dinge: Zum einen freue ich mich darauf, meine Kenntnis der säkularen Verbändelandschaft und ihrer – nicht immer ganz gleichlautenden – Interessen in ein neues Umfeld einzubringen, das weltanschaulich recht bunt ist. Es ist wichtig, dass dort, wo religionspolitische Fragen verhandelt werden, auch eine säkulare Stimme zu Wort kommt. Der Gründer des Forums, Sven Speer, hat das von Anfang an verstanden. Im Forum herrscht ein liberaler Geist, der Türen öffnet. Und zum zweiten freue ich mich auf Einblicke in die religionspolitischen Interessen der im Forum vertretenen Glaubensgemeinschaften. Da gibt es sicherlich strukturelle Analogien zu säkularen und humanistischen Anliegen.

    Welche drängendsten Defizite sehen Sie aktuell bei den Debatten über das Verhältnis zwischen Staat und Religionen?

    Ich sehe vor allem das Defizit, dass die Breite der Gesellschaft an diesen Debatten kaum teilnimmt. Auch die großen Parteien erwecken bei mir nicht unbedingt den Eindruck, dass sie an der religionspolitischen Willensbildung der Bevölkerung angemessen mitwirken. Allzu oft sind zwar die 4 Prozent Muslime im Fokus der Aufmerksamkeit, aber die 40 Prozent säkular denkenden Mitbürger werden gar nicht beachtet. Wie soll es weitergehen mit der staatlichen Kirchenfinanzierung und dem Kirchensteuereinzug, welche wertebildenden Schulfächer sind zukunftsfähig? Da könnte man doch auf die Idee kommen, dass ein weltlicher Humanismus besser zur Kultur der europäischen Aufklärung passt als alle Offenbarungsreligionen zusammen. Dann müsste allerdings die Konsequenz gezogen werden: gleicher Abstand des Staates zu religiösen und nichtreligiösen Organisationen und eine öffentliche Debatte auf Augenhöhe.

    Das Forum vertritt einen sehr inklusiven Ansatz. Glauben Sie, dass dieser gegenüber der zunehmend säkularen Öffentlichkeit vermittelbar ist?

    Wenn mit „inklusiv“ gemeint ist, dass eher die „Aufbaustrategie“ positiver Gleichbehandlung kleiner Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verfolgt wird als die „Abbaustrategie“ überkommener kirchlicher Privilegien, dann trifft das auf das Forum zu. Eine weite Auslegung der Religionsfreiheit ist den Aktiven im Forum ein echtes Anliegen. Es ist eine spannende Frage, wo hier die Grenze sein soll. Das ist ja auch gesamtgesellschaftlich keineswegs ausdiskutiert. Ich sehe mich hier als Fürsprecher der negativen Religionsfreiheit und kann ansonsten für die Religionsfreiheit kein höheres Gewicht erkennen als für andere Grundrechte. Der Staat muss den Ordnungsrahmen vorgeben, aber er darf sich nicht zum Richter über Glaubensinhalte aufspielen. Ich denke, das ist auch einer säkularen Öffentlichkeit vermittelbar.

    Auf welches Thema oder welchen Themenbereich sollte denn der Humanistische Verband Deutschlands Ihrer Ansicht nach derzeit seinen Fokus richten?

    Aktuell „brennt“ das Thema des ärztlich assistierten Suizids, weil es hier bekanntlich mehrere Gesetzentwürfe gibt. Der Humanistische Verband hat hier eine eigene, gewachsene Kompetenz. Auch der Ausbau der Angebote als freier Träger wird sicher weitergehen. Aber der Verband muss aus meiner Sicht aufpassen, dass er den Kern einer wissenschaftsbasierten, naturalistischen Weltanschauung nicht zu sehr aus den Augen verliert. Das Schlagwort vom „praktischen Humanismus“ ist hier irreführend: Es suggeriert, man bräuchte keineTheorie und könnte einfach so den Menschen dienen. Aber Humanismus ist eben mehr als Humanität. Dazu gehört ein Bildungsanspruch, der Wissenschaft, Philosophie und Kunst umfasst. Und dazu gehört auch eine substanzielle Auseinandersetzung mit den sogenannten „letzten Fragen“ nach Herkunft und Zukunft des Menschen und dem Horizont seines Wissens und Wollens. Das ist für den Humanistischen Verband unverzichtbar, sonst wäre er eines Tages kein Weltanschauungsverband mehr.

    Welche Bedeutung würden Sie dem interreligiösen Dialog von säkularer Seite beimessen?

    Dem Dialog über weltanschauliche Grenzen hinweg messe ich eine große Bedeutung bei, wie übrigens auch dem Dialog innerhalb des säkularen Lagers. Säkulare sollten den Dialog mit den Religionen keineswegs nur wegen des strategischen Ziels suchen, dann „auch dabei“ zu sein. Ein echtes Verständnis, wie Religion „funktioniert“ und warum Gläubige glauben, kann nur im direkten Kontakt wachsen. Humanisten sollten sich für die religiöse Binnensicht und für die inneren Kämpfe gläubiger Zweifler interessieren, denn das sind Millionen gutwilliger Menschen. Und die Glaubenswelt des Christentums hat unser Land immerhin viele Jahrhunderte geprägt. Man sieht die Spuren überall. Da ist Gleichgültigkeit fehl am Platz. Außerdem denke ich, dass viele Gläubige einen ernsthaften Gesprächspartner, der ihnen auch einmal widerspricht, höher schätzen als die Geschlossenheit ihrer jeweiligen Milieus.

    Foto: diesseits

    Das Forum Offene Religionspolitik e.V. (FOR) erforscht als Think Tank die politische Regulierung von Religion und berät Regierungen, Parlamente, Religionsgemeinschaften und Journalisten. Referenten des Vereins sprachen u.a. in Berlin, Washington, D.C., Salt Lake City, Jerusalem, Beirut und Kairo. Der 2011 gegründete Verein ist überparteilich und überkonfessionell und finanziert sich primär über Mitgliedsbeiträge und Spenden.