Für wen ist die Kirchensteuer ein Problem?

    Die Kirchensteuer gerät aktuell stärker in die Kritik. Die FDP Sachsen hat Ende März einen Beschluss gefasst, in dem sie „eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat“ fordern. Teil dieser Trennung soll die Ersetzung der Kirchensteuer „durch ein kircheneigenes Beitragssystem“ sein. Insbesondere diese religionspolitische Forderung bewegt derzeit die deutsche Öffentlichkeit. Warum eigentlich? Wem schadet die Kirchensteuer?

    Historisch betrachtet waren zuerst einmal die Kirchen selbst gegen die Kirchensteuer. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben die deutschen Staaten noch zahlreiche Ausgaben der Kirchen getragen – nicht zuletzt deswegen, weil sie die katholische Kirche vorher teileignet hatten und die evangelischen Kirchen Staatskirchen waren. Doch in dieser Zeit schwand die Bereitschaft der Regierungen, für die Ausgaben der Kirchen aufzukommen. Damit die Kirchen ihre Ausgaben selbst finanzieren können, haben ab 1827 einige Staaten ein erstes Kirchensteuersystem auf Ortsebene eingeführt. Preußen führte dann 1875 ein Kirchensteuersystem auf Landesebene ein. Die Erhebung einer eigenen Steuer war für die Kirchen jedoch kein Grund zur Freude. Ganz im Gegenteil: Sie protestierten dagegen. Denn die Kirchensteuer war ganz klar ein Ausdruck der Trennung von Staat und Kirche.

    [pullquote_right]Denn die Kirchensteuer war ganz klar ein Ausdruck der Trennung von Staat und Kirche.Heute hingegen bezeichnen Kritiker den staatlichen Einzug der Kirchensteuer als unzulässige Vermischung von Staat und Kirche.[/pullquote_right]Heute hingegen bezeichnen Kritiker den staatlichen Einzug der Kirchensteuer als unzulässige Vermischung von Staat und Kirche. 9,3 Milliarden Euro hat der deutsche Staat an Kirchensteuern für die Kirchen eingezogen. Das Geld stammt von den Mitgliedern der Kirchen selbst, auch wenn sie die Zahlungen wie bei (anderen) gemeinnützigen Organisationen steuerlich geltend machen können. Den Einzug lässt sich der Staat von den Kirchen vergüten, so dass staatlicherseits keine Kosten anfallen. Für die Kirchen liegt der Vorteil darin, dass der Staat die Kirchensteuer direkt einziehen kann, was ihnen verwehrt ist – und das lassen sie sich etwas kosten. Die Bürger, die kein Mitglied einer Religionsgemeinschaft sind, die eine Kirchensteuer erheben, werden durch deren Einzug also nicht geschädigt. Ein Problem stellt eher dar, dass andere Vereinigungen ihre Mitgliedsbeiträge nicht staatlich einziehen lassen können. Im Kern ist es wohl diese Ungleichbehandlung, die kritisiert wird.

    Gegen diese Ungleichbehandlung schlagen unter anderem Vertreter der Grünen einen Umstieg auf ein System der Ethiksteuer um. Danach sollte jeder einen an seine Einkommenssteuer gekoppelten Betrag abführen, der für soziale Zwecke ausgegeben wird. Mir erscheint dies eine Strafsteuer für diejenigen zu sein, die aus der Kirche(nsteuer) austreten. In gleicher Denkweise hat Bayern den Ethikunterricht als Ersatzfach für den Religionsunterricht eingeführt, um Abmeldungen vom Religionsunterricht zu begrenzen – mit deutlichem Erfolg, weil Freistunden statt Religionsunterricht nicht mehr möglich waren. Einem weltanschaulich neutralem Staat sind derartige Lenkungsversuche versperrt. Der Staat darf so wenig darauf hinwirken, dass Menschen in den Kirchen bleiben, wie er darauf hinwirken darf, dass Menschen austreten. Zudem steht dem Staat bereits jetzt die Förderung sozialer Einrichtungen aus Steuermitteln frei, wovon der Staat auch eifrig Gebrauch macht.

    Wer Mitglied einer Religionsgemeinschaft ist, dem kann dies auch etwas wert sein. Letztlich kann jeder die Kirche verlassen, wenn er nicht länger bereit ist zu zahlen. Die Kirchensteuer ist damit für die sie nutzenden Kirchen ein finanzieller Segen, aber gleichzeitig auch eine schwere Hypothek. Nicht wenige, die in innerer Distanz zu ihrer Kirche stehen, treten aus, weil sie die Kirchensteuer von ihrer Gehaltsabrechnung streichen wollen. Aus einer religiösen Entscheidung wird eine rein materielle. Dort, wo die Religion in unserer westlichen Gesellschaft am lebendigsten ist, in den USA, existiert keine Kirchensteuer. Die Religionsgemeinschaften finanzieren sich auf freiwilliger Basis sehr erfolgreich. Freilich gibt es auch Gemeinschaften, denen dies nicht gelingt. In einer freien Gesellschaft zählen manche zu den Verlierern, andere zu den Gewinnern. Für wen ist die Kirchensteuer also ein Problem? Für die Nichtreligiösen? Das sehe ich jenseits symbolischer Entrüstung nicht. Die Kirchensteuer ist eher ein Problem für die Kirchen selbst. Letztlich steht der Kirchensteuereinzug vielen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften offen. In meinen Augen sollte der Zugang noch ausgeweitet werden. Abschaffen würde ich ihn nicht. Wir haben drängendere Probleme in der Religionspolitik. Die Gemeinschaften nutzen den Kirchensteuerzug auf eigene Gefahr.

    Foto: Pixabay

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.