Entwurf des Koalitionsvertrags: Keine Reform der Religionspolitik unter Schwarz-Rot

    In den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD scheint das Verhältnis von Staat und Religion nicht strittig zu sein, wie eine aktuelle Entwurfsfassung zeigt. Bei dem Entwurf fällt vor allem auf, dass der religionspolitische Passus deutlich länger ist als der damalige im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP 2009. Konkretisiert haben die Verhandlungspartner den Erhalt der Kooperation mit den beiden großen Kirchen. Aus Sicht einer Offenen Religionspolitik begrüße ich das Bekenntnis zur Zusammenarbeit mit den Kirchen. Aus gleicher Sicht kritisiere ich aber scharf, dass eine Öffnung der Zusammenarbeit für islamische und andere religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften ausbleibt. Schwarz-Rot bekennt sich im Entwurf damit ebenso einseitig für eine privilegierte Partnerschaft des Staates mit der römisch-katholischen Kirche und der EKD wie die schwarz-gelbe Vorgängerregierung.

    Als „unverzichtbar“ bezeichnet Schwarz-Rot im Entwurf nicht nur wie die letzte Regierung die „Christlichen Kirchen“, sondern schließt in die Unverzichtbarkeit auch „ihre Wohlfahrtsverbände“ explizit ein. Allerdings sind die Kirchen anders als für Schwarz-Gelb nicht mehr unverzichtbar „bei der Vermittlung der unserem Gemeinwesen zugrunde liegenden Werte“. Im Entwurf heißt es nunmehr, sie „vermitteln Werte, die zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft beitragen“. Unverzichtbar seien die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände indes „nicht zuletzt im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, bei der Betreuung, Pflege und Beratung von Menschen sowie in der Kultur“. Gleichwohl geben CDU, CSU und SPD ein Bekenntnis „zur christlichen Prägung unseres Landes“ aus.

    Anders als unter Schwarz-Gelb garantiert der schwarz-rote Vertragsentwurf den Erhalt der Kirchensteuer, der Unterstützung für die kirchlichen Einrichtungen sowie das kirchliche Arbeitsrecht. Sogar die staatliche Unterstützung für den 500. Jahrestag der Reformation hat es in den Entwurf geschafft. Vermutlich sind die Konkretisierungen auf das Engagement der Laizistinnen und Laizisten in der SPD zurückzuführen. Freilich nicht als deren Erfolg, sondern als Mittel der Verhandlungsführer in Union und SPD, sozialdemokratischen Stimmen für eine stärkere Trennung von Staat und Religion von vornherein die Grenzen in der möglichen Koalition aufzuzeigen.

    Die rechtliche Anerkennung und die Ausweitung staatliche Kooperation mit den islamischen Gemeinschaften hingegen verlangsamen sich im Entwurf sogar stärker als im schwarz-gelben Vertrag. Sprachen Union und FDP noch von einer „Annäherung muslimischer Bevölkerungsteile Deutschlands an das deutsche Religionsverfassungsrecht“ (wohlgemerkt nicht andersrum), so soll die Deutsche Islam Konferenz künftig vor allem der „Wertschätzung und Unterstützung“ „der vielfältigen Beiträge[n] muslimischer Vereine und Verbände zu unserem Gemeinwesen“ dienen. Der Beitrag des Islam ist offenkundig nur vielfaltig, nicht aber unverzichtbar. Eine politische Anerkennung, dass mittlerweile mehr als eine Million Deutsche Muslime sind und nicht zwangsweise integriert, wohl aber gleichberechtigt werden müssen, bleibt weiterhin aus.

    Abgesehen von den jüdischen Gemeinden werden weitere Religionsgemeinschaften weder namentlich genannt, noch wird eine weitere Öffnung der staatlichen Kooperation für sie erwähnt. Die Verhandlungspartner wollen lediglich „den Dialog mit den christlichen Kirchen, Religionsgemeinschaften und religiösen Vereinigungen intensiv pflegen“. Schwarz-Gelb sagte an dieser Stelle, sie wollten den Dialog „noch stärker betreiben“. Ob nun das schwarz-gelbe Niveau erhalten oder abgesenkt werden soll, ist reine Spekulation und aufgrund des offenen Gehalts von Dialog auch nicht weiter relevant. Säkulare Weltanschauungen und Weltanschauungsgemeinschaften, die in Deutschland ebenfalls vergleichbar mit den Kirchen Werte vermitteln und zahlreiche Einrichtungen in Bildung und Wohlfahrt tragen, werden gar nicht erst erwähnt.

    Der einzige strittige Punkt in der Religionspolitik ist folgender Satz: „Das bewährte Staatskirchenrecht in unserem Land ist eine geeignete Grundlage für eine umfassende partnerschaftliche Zusammenarbeit mit allen Religionsgemeinschaften.“ Dieser Satz kann aus zwei Gründen umstritten sein: Möglicherweise könnten die Verhandlungsführer der SPD das bisherige Staatskirchenrecht nicht als „bewährt“ betrachten. Das scheint mir unwahrscheinlich, da sich Union und SPD auf den Erhalt von Kirchensteuern, Wohlfahrtsfinanzierung usw. geeinigt haben. Spannender ist die zweite Erklärung: Die Union lehnt den Satz ab, weil sie im Gegensatz zur SPD keine „umfassende partnerschaftliche Zusammenarbeit mit allen Religionsgemeinschaften“, also die Einbeziehung auch der kleineren Religionsgemeinschaften in die kooperative deutsche Modell von Staat und Religion will. Würde dieser Satz noch ergänzt um „und Weltanschauungsgemeinschaften“ wäre dies in Kurzform ein Bekenntnis zur Offenen Religionspolitik (das freilich mit Leben gefüllt werden müsste). Das könnte ein vorsichtiges Bekenntnis zu einer Reform der Religionspolitik sein. Es bleibt spannend, wie der Entwurf des Koalitionsvertrags aussehen wird, über den die beteiligten Parteien schließlich abstimmen werden.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.