Regelmäßig entgegnen mir Laizisten, dass eine strikte Trennung von Staat und Religion die einzige Möglichkeit ist, alle Bürger eines Staates gleich zu behandeln. Lange habe ich diese Position geteilt: Ich war Laizist. Ich bin es nicht mehr, seitdem ich erkannt habe, dass Staat und Religion schlicht nicht voneinander getrennt werden können.
Ich sage dies nicht, weil ich der Überzeugung wäre, dass es der Gesellschaft ohne Religion schlechter gehen würde. Ich persönlich lebe ohne Religion sogar sehr gut. Doch ganz egal, wie der Staat versucht, sich von Religion zu trennen: Er beeinflusst sie. Und weil er dies tut, müssen wir uns Gedanken über das rechte Verhältnis von Staat und Religion machen.
Die Grenzen zwischen Säkularem und Religiösem sind fließend.
Laizisten gehen davon aus, dass ein Staat, der von Religion getrennt ist, nichts mehr mit dieser zu tun hat. Weit gefehlt! Denn selbst um sich von der Religion zu trennen, muss der Staat erst einmal definieren, was eigentlich Religion ist. Welchen Gemeinschaften, welchen Forderungen und welchen Symbolen wird der Zutritt zum politischen (wenn nicht gar öffentlichen) Raum verwehrt? Wo verläuft die Grenze zwischen legitimer kultureller Forderung und illegitimer religiöser Forderung? Wann ist ein Argument legitim und säkular und wann ist es illegitim und religiös? Die Grenzen zwischen Säkularem und Religiösem sind fließend. Sie waren es immer. In der Vergangenheit wurden ständig säkulare Ideen in religiöse Konzepte aufgenommen und religiöse Ideen in säkulare Konzepte. Entwirren kann dies heute keiner mehr, wenn er die Geschichte nicht vollkommen ausblendet.
Alle vermeintlichen Trennungssysteme von Staat und Religion sind Etikettenschwindel
Alle vermeintlichen Trennungssysteme von Staat und Religion sind daher Etikettenschwindel. In den USA gehören Kirchen und andere Religionsgemeinschaften zu den erfolgreichsten politischen Einflussgruppen – auf der Rechten wie auf der Linken. Frankreich ist zutiefst geprägt von einer katholischen Tradition, die als kulturell-säkulare ausgegeben wird. Faktisch haben es gläubige Katholiken in Frankreich weit einfacher als Muslime, und das obwohl der Staat in religiösen Fragen blind sein müsste. In der Türkei schließlich dominiert der Staat mit seinem Ministerium für religiöse Angelegenheiten das religiöse Feld. Ich erspare mir, auf unfreiere laizistische Staaten einzugehen.
Eine klare Trennlinie, die von allen akzeptiert würde, gibt es nicht
Jeder laizistische Staat setzt seinen religiösen Filter an anderer Stelle an. Was als zulässig und was als unzulässig gilt, ist Ergebnis langer historischer Entwicklungen und politischer Entscheidungen. Eine klare Trennlinie, die von allen akzeptiert würde, gibt es nicht. Und damit stellt der religiöse Filter, der nur religiöse Menschen bremst, während sich säkulare Menschen frei bewegen können, einen einseitigen und unzulässigen Eingriff in das religiös-weltanschauliche Feld dar. Das Problem des laizistischen Staates ist indes ein Dilemma für jeden freiheitlichen Staat: Ob er will oder nicht, er greift in das religiös-weltanschauliche Feld ein. Die Frage ist nun: Wie muss sich ein freiheitlicher Staat in dieser Situation verhalten? Unsere Antwort darauf ist die Offene Religionspolitik.