Anlässlich der Langen Nacht der Religionen Anfang September in Berlin veranstaltete das Forum Offene Religionspolitik (FOR) gemeinsam mit der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit ein Podium zu der Frage nach der Rolle der Kirche in der DDR und in der friedlichen Revolution.
Sven Speer, Vorsitzender des FOR, stellte das Thema der Veranstaltung in seinen einführenden Worten in einen größeren Zusammenhang: Unterschiede, so Speer, seien in einer Gesellschaft keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung. Als ein Beispiel dafür hob er das Widerstandspotential gegenüber – insbesondere staatlicher – Repression hervor, das aus starken religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen erwachsen kann. Damit ordnete er zugleich die Diskussionsfrage der Veranstaltung in das Anliegen der Langen Nacht ein, die religiöse Vielfalt Berlins positiv hervorzuheben.
Die Kirche als einzige nicht staatlich kontrollierte Organisation bot einen Freiraum
In der anschließenden Podiumsdiskussion, die von FOR-Vorstandsmitglied Yvonne Försterling moderiert wurde, ließen die Diskutanten das Publikum an ihren teils übereinstimmenden, teils unterschiedlichen Erinnerungen an die (v.a. evangelische) Kirche in der DDR teilhaben. Alle drei hoben hervor, dass die Kirche als einzige nicht staatlich kontrollierte Institution einen einzigartigen Freiraum bot, laut zu sagen, was viele dachten. Rainer Eppelmann, Pfarrer in der DDR und Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, erinnerte an die Blues-Messen, die für Hunderte, später Tausende junge Menschen zum Magneten wurden. Eindrucksvoll schilderte er Versuche der Stasi, die Blues-Messen dadurch zu unterbinden, dass argumentiert wurde, es handle sich dabei gar nicht um Gottesdienste – ein eigenwilliger Eingriff in einem Staat, der auf einer atheistischen Ideologie aufbaute, ausgerechnet die Religionsausübung auf „Korrektheit“ zu überprüfen, der die Widersprüche des DDR-Regimes erkennen lässt.
Der christliche Glaube stand längst nicht bei allen im Vordergrund
Pfarrer Bernd Albani, der 1978 selbst für sechs Wochen inhaftiert worden war, betonte neben dem Freiraum, den die Kirche ermöglichte und erhalten konnte, auch den großen Schutz, den eine Anstellung bei der Kirche bot: Sie garantierte, dass der materielle Lebensunterhalt durch politisches Engagement nicht gefährdet war. Welche große Bedeutung die Kirche im Leben damaliger Jugendlicher einnehmen konnte, schilderte Dr. Dirk Moldt aus eigener Erfahrung, aber auch aus seiner wissenschaftlichen Sichtweise als Historiker. Dabei entfalteten Freiheit und die Bewahrung der Schöpfung als gemeinsame Ziele gerade bei jungen Menschen große Bindungskraft; der christliche Glaube stand hingegen, so Moldt, längst nicht bei allen im Vordergrund. Mit seinen Mitdiskutanten einig war er allerdings darin, dass die entscheidenden Einzelpersonen, die die Kirche als Freiheitsraum öffneten, sich sehr wohl vom christlichen Glauben leiten ließen. Bernd Albani unterstrich, dass für ihn das Selbstverständnis als Christ und Kirchenmitglied und sein Engagement in der Umwelt- und Friedensbewegung nie voneinander getrennt, sondern eng miteinander verbunden waren.
Kirche hätte ohne überzeugte Christen ihre einzigartige Rolle nicht einnehmen können
Was das Widerstandspotential von Religion betrifft, entwickelte sich somit im Laufe der Diskussion ein differenziertes Bild: Einerseits fühlten sich viele Menschen weniger durch den christlichen Glauben als durch die Sehnsucht nach Freiheit zur Kirche hingezogen und waren eher von politischen als von theologischen Fragen bewegt; andererseits hätte die Kirche ohne überzeugte Christen, die sich als Pfarrer oder in den kirchlichen Hierarchien der einzelnen Länder dafür einsetzten, ihre einzigartige Rolle in der DDR niemals einnehmen können. In ihrem Schlusswort betonte Yvonne Försterling, anschließend an ihre Vorredner, den besonderen Wert der Demokratie, die immer wieder neu geachtet und errungen werden muss.