Seit Wochen ist die Diskussion um den AfD Kandidaten Alfred Glaser als möglichem Bundestagsvizepräsident in den Medien präsent. Ebenso haben sich VertreterInnen aller Parteien über dieses mögliche, für viele drohende, Szenario, geäußert und im entscheidenden Moment in drei Wahlgängen mehrheitlich gegen den aufgestellten Kandidaten gestimmt. Während der parlamentarische Geschäftsführer der FDP beispielsweise klarstellte, eine Reihe von Positionen Glasers seien für ihn eine ‚Zumutung‘, bestätigte auch Cem Özdemir, Parteivorsitzender der Partei ‚Die Grünen‘, ein Politiker der die Religionsfreiheit infrage stelle habe sich für das Amt des Bundestagsvizepräsident disqualifiziert: „Ich kann so jemanden nicht wählen“ (Die Welt 2017). Aber vor welchem Hintergrund positionierten sich die PolitikerInnen auf diese Weise?

Albrecht Glaser, ehemaliger CDU Kommunalpolitiker und Stadtkämmerer in Frankfurt am Main, erregte besondere Aufmerksamkeit mit seiner Aussage, der Islam habe sein Recht auf Religionsfreiheit verspielt. In einem Vortrag als Mitglied der Frankfurter AfD sagt Glaser hierzu beispielsweise: „Und jemand, der andere Religionen nicht anerkennt, der überhaupt garnicht fähig ist zur Religionstoleranz, der missbraucht das Recht für Religionsfreiheit; und die, die das Recht missbrauchen, denen steht es nicht zu“ (Glaser 2017).

Diese Aussage setzt für mich zwei Grundannahmen Glasers voraus: Erstens, dass der Islam das Konzept der religiösen Toleranz grundsätzlich nicht kennt und seine Gläubigen daher zu dieser Haltung nicht fähig sind und zweitens, dass das Grundrecht der Religionsfreiheit nur denen zusteht, die es ihrerseits anerkennen. Viele Kommentatoren, wie beispielsweise Jochen Bittner in der ‚Zeit‘, nannten Glasers Aussage eine (Fehl-)interpretation der Funktion unseres Grundrechts (vgl. Bittner 2017). Das eigentlich problematische an Glasers Aussage liegt für mich jedoch nicht (nur) im zweiten Teil der Aussage, sondern vor allem darin, dass Glaser dem Islam die Fähigkeit zur Religionstoleranz aberkennt. Er tut dies besonders auf Grundlage zweier Argumente: Der Absolutheitsanspruch des Islam und seine politische Implikation (vgl. Glaser 2017).

Aber nennt Glaser hier wirklich exklusive Merkmale des Islam? Im Folgenden werde ich darauf eingehen, warum sich der Islam in beiden genannten Bereichen für mich nicht substanziell von anderen Religionen unterscheidet und dies vor allem im Vergleich mit dem Christentum deutlich machen.

Theologisch: Absolutheitsanspruch und Exklusivität

Theologisch gesehen gehört der Islam, genau wie Christentum und Judentum, zu den monotheistischen Religionen. Der Begriff monotheistisch leitet sich ab aus den Wörtern mónos  (‚allein, einzig‘) und theós (‚Gott‘), die oben genannten Religionen vertreten demnach alle den Glauben an einen einzigen, universalen Gott. Gemeinsam ist den monotheistischen Religionen aber noch einiges mehr, zum Beispiel, der sogenannte Absolutheitsanspruch.

Dieser Begriff beschreibt, dass die Religionen nicht nur kollektiv den Glauben an einen Gott, im Gegensatz zu vielen Göttern, fördern, sie motivieren ihre Gläubigen auch dazu, ihre Propheten und deren Offenbarung als alleinig zielführend anzusehen. So heißt es im Johannesevangelium (14;6) beispielsweise: Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. 

Lässt sich daraus nun aber schließen, dass ChristInnen gleichsam wie Menschen muslimischen Glaubens unfähig sind in einer religiös pluralen Gesellschaft zu existieren und in dieser ihr Gegenüber zu tolerieren?

Nein. Denn der Begriff, oder das Konzept des Absolutheitsanspruchs ist nicht gleichzusetzen mit dem der Exklusivität, also der Vorstellung, dass anderen Religionen und Weltanschauungen jegliches Wahrheitsmoment fehlt. Der Absolutheitsanspruch kann auf viele unterschiedliche Bereiche bezogen werden – Religion im Allgemeinen, die Kirche oder vergleichbare Institutionen, die Lehre, das Heil, oder die Offenbarung – und in anderen Bereichen anderen Religionen Wahrheitsmomente zuerkennen.

Zudem beinhaltet der Begriff nicht zwangsläufig eine moralische Implikation. Das heißt, ich kann der Meinung sein, dass meine Religion oder Weltanschauung den größten Anteil an Wahrheit vermittelt, muss damit den Wert anderer Religionen oder gar den Wert der AnhängerInnen anderer Religionen aber keineswegs herabwürdigen. Mit dieser Deutung möchte ich nicht abstreiten, dass in der Geschichte aller Religionen und Weltanschauungen der Absolutheitsanspruch häufig exklusivistisch verstanden und der eigene Glaube über den der Anderen gestellt wurde. Diese Gefahr liegt aber in jedem Glauben, vielleicht in besonderem Maß den monotheistischen, aber auch in jeder politischen Überzeugung. Die eigene Überzeugung wird meist als die richtige empfunden und steht damit automatisch in der Gefahr exklusivistisch vertreten zu werden.

Politisch: Der ‚Mainstream-Islam‘ unter Generalverdacht

In verschiedenen Stellungnahmen spielt Albrecht Glaser darauf an, dass der Islam einen klaren politischen Herrschaftsanspruch vertrete. Der Zeit-Redakteur Jochen Bittner nimmt diese Position auf und schreibt in einem Kommentar um die Glaser-Debatte, zur Ehrlichkeit gehöre auch, „dass der Mainstream-Islam keine Religion wie die meisten anderen ist, sondern einen Mischcharakter besitzt“. Beide wollen hier herausstellen, der Charakter des Islam unterscheide sich kategorial von dem anderer Religionen und formulieren dabei eine gefährliche Verkürzung.   

Denn besitzt nicht jede Religion, Weltanschauung und politische Einstellung einen Mischcharakter? In all unseren Haltungen mischen sich (heilige) Schriften, dogmatische Überlegungen und historische Dynamiken, Fremdzuschreibungen und Selbstzuschreibungen. Sie befinden sich stetig im Wandel und wehren sich gegen (fast) alle Formen der Generalisierung.

Sicherlich kann man dogmatische Eckpunkte festlegen, die eine grobe Einordnung, beispielsweise als Religion, überhaupt möglich machen. Doch jede Religion, jede Weltanschauung, auch jede politische Einstellung wird erst durch menschliche Reflexion zu dem, was sie faktisch ausmacht.

So ist es nicht möglich, dem Christentum und anderen Religionen die Fähigkeit zur Religionstoleranz zuzuerkennen, dem Islam dagegen prinzipiell abzusprechen. Das verbietet schon eine Betrachtung der Kirchengeschichte, die aufzeigt, dass das Verhältnis von Kirche und Staat, Religion und Politik, auch im Christentum seit jeher ein ambivalentes ist.

Der Islam ist in dem, was ihn im Innersten als eine Religion definiert, mit anderen Religionen seelenverwandt und so stehen ihm die selben Rechte und Pflichten zu: Das religiöse Leben von Gläubigen darf sich nicht der Kontrolle des Rechts entziehen, aber in gleichem Maße muss es Gegenstand rechtlichen Schutzes sein.

Fazit

Was wir in der momentanen Debatte um Religion und Säkularisierung brauchen, sind reflektierte Konzepte darüber, wie Menschen mit unterschiedlicher religiöser Prägung, oder keiner religiöser Prägung, in diesem Land konstruktiv zusammenleben können, unter dem Leitfaden der Verfassung. Dass man sich Glaubensfreiheit nicht erkauft und Grundrechte nicht verdient, muss in diesem Prozess unverhandelbare Grundüberzeugung sein. Was Albrecht Glaser zu dieser Debatte beitrug, ist für mich dagegen eine Aussage mit generalisierendem Charakter, die vollkommen darin versagt, zu einer ernst zu nehmenden politischen Handlungsanweisung werden zu können.   

Und deshalb möchte ich mit einem Zitat von Lamya Kaddor enden, wohl wissend, dass auch diese Aussage eine Verkürzung enthält, für mich aber den Kern der Islamkritik Glasers trifft: „Der Islam ist für mich eine Chiffre. Die Chiffre für den alten Schlachtruf ‚Ausländer raus‘. Und das ist für mich quasi nur verlagert  (…) Und das macht mir Sorgen. Und das macht mir nicht Sorgen, weil ich Muslimin bin. Das macht mir Sorgen, weil ich deutsche Staatsbürgerin bin und ich für diese Demokratie einstehen will“ (Kaddor 2017).

 

Literatur:

Glaser, Albrecht: Vortrag vor dem AfD Kreisverband Frankfurt am Main, 11.08.2017, (https://www.youtube.com/watch?vOsTq1ncc4s, zuletzt aufgerufen am 12.11.2017).

Bittner, Jochen: Das Islam-Paradox. In: Die Zeit, 26.10.2017.

Die Welt: SPD, FDP, Grüne und Linke wollen AfD-Mann nicht zum Bundestags-Vize wählen, 02.10.2017.

Kaddor, Lamya. In: hr Horizonte, 03.07.2017 (https://www.youtube.com/watch?v=wRyXY-Tpfl0, zuletzt aufgerufen am 12.11.2017).

 

Maximiliane Rink studiert Evangelische Theologie auf Kirchenexamen und Nah- und Mitteloststudien auf Bachelor in München, Marburg und Beirut. Innerhalb ihres Studiums legt sie einen besonderen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit systematischen Fragestellungen, die sich aus dem Zusammenleben einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft ergeben. Für das Forum Offene Religionspolitik ist sie als Research Assistent tätig.