Abschaffung des staatskirchenrechtlichen Status’ der Körperschaft des öffentlichen Rechts?

    Herr Dr. Neureither, in den religionspolitischen Debatten kommt immer mal wieder die Forderung nach einer Abschaffung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts auf. Was unterscheidet eigentlich eine Bekenntnisgemeinschaft, die Körperschaft ist, von einer, die privatrechtlich organisiert ist?

    Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften haben die Auswahl aus unterschiedlichen Rechtsformen. Mit der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 137 V WRV sind bestimmte Vorteile verbunden, die man zusammenfassend als „Privilegienbündel“ bezeichnet.

    Am bekanntesten ist das Recht, Steuern zu erheben, also die sog. Kirchensteuer, welche verfassungsrechtlich verankert ist (Art. 137 VI WRV). Hierbei legt der Staat den „Mitgliedsbeitrag“ des einzelnen Mitglieds gesetzlich fest und führt ihn an die jeweilige Gemeinschaft ab; das lässt er sich selbstverständlich vergüten. Von diesem Recht machen nur die wenigsten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Gebrauch. Es besteht mithin kein Automatismus zwischen Körperschaftsstatus und Steuererhebung.

    Dr. Georg Neureither ist Gründer und Inhaber der Internetplattform „Religion – Weltanschauung – Recht [ RWR ]“ (www.religion-weltanschauung-recht.de). Außerdem ist er Lehrbeauftragter für Staatskirchenrecht und Kirchenrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Lehrbeauftragter für Religionsverfassungsrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Prüfer in der Ersten juristischen Prüfung in Baden-Württemberg.

    Beispiele weiterer Vorteile in der Normhierarchie unterhalb der Verfassungsebene sind etwa folgende:

    • Dienstherrnfähigkeit, d.h. das Recht, Beamte zu haben;
    • Befreiung von der Erbschafts-, Schenkungs- und Grundsteuer;
    • Befreiung von der Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung durch den Rechnungshof;
    • Berücksichtigungspflichten im Bauplanungsrecht;
    • Befreiung vom gemeindlichen Vorkaufsrechts;
    • Strafbarkeit des Missbrauch von Amtsbezeichnungen, Titeln, Würden, Amtskleidungen und Amtsabzeichen.

    All diese und weitere Rechte stehen nur den öffentlich-rechtlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, also denjenigen Gemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.

    Wichtig zur Vermeidung von Missverständnissen ist, dass Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts nach Art. 137 V WRV sind, damit nicht in den Staat eingegliedert, also kein Teil des Staates sind. Es besteht somit keine institutionelle Verbindung zwischen dem Staat und solchen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften – und darf es wegen Art. 137 I WRV nicht.

    Kann jede Bekenntnisgemeinschaft Körperschaft des öffentlichen Rechts werden? Welche Voraussetzungen muss sie erfüllen?

     Nach Art. 137 V 2 WRV kann jede Religionsgemeinschaft und in Verbindung mit Art. 137 VII WRV auch jede Weltanschauungsgemeinschaft Körperschaft des öffentlichen Rechts werden, wenn sie „die Gewähr der Dauer“ bietet. Diese Voraussetzung wird durch zwei Kriterien konkretisiert: Die Gewähr der Dauer muss sie durch „ihre Verfassung“ und durch „die Zahl ihrer Mitglieder“ bieten. Daneben hat das Bundesverfassungsgericht die – ungeschriebene – Voraussetzung der „Rechtstreue“ aufgestellt. Gefordert ist bei der Beurteilung, ob die Verleihensvoraussetzungen erfüllt sind, eine Prognoseentscheidung für die Zukunft, wofür der Blick in die Vergangenheit natürlich Aufschluss geben kann.

    Mit „Verfassung“ ist keine feierliche Urkunde oder organisatorische Satzung gemeint. Bei diesem Kriterium geht es um die Verfasstheit, den „Aspekt“ der Gemeinschaft insgesamt.

    Die „Zahl ihrer Mitglieder“ reicht bei den Gemeinschaften, die den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangt haben, von wenigen hundert bis zu vielen Millionen Mitgliedern.

    Das Merkmal der „Rechtstreue“ hat das Bundesverfassungsgericht dahingehend umschrieben, dass die betreffende Gemeinschaft „das geltende Recht beachten, insbesondere die ihr übertragene Hoheitsgewalt … in Einklang mit den verfassungsrechtlichen und sonstigen gesetzlichen Bindungen ausüben“ muss. Zudem muss sie die Gewähr bieten, „dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet“.

    Klar ist im Übrigen – jedenfalls für Juristen – auch der Maßstab des Art. 9 II GG: Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten; ihnen muss und darf deswegen der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht verliehen werden.

    Kann der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts auch wieder entzogen werden?

    Der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts wird auf Antrag verliehen, wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen. Bestehen diese nicht mehr, so kann und muss u.U. der Status wieder entzogen werden.

    Neben den neukorporierten Körperschaften gibt es auch altkorporierte wie die evangelischen Landeskirchen und die katholischen Bistümer. Was unterscheidet die beiden Gruppen voneinander?

    Rechtlich besteht kein weiterer Unterschied zwischen den „geborenen“ und den „gekorenen“ Körperschaften des öffentlichen Rechts nach Art. 137 V 1 und 2 WRV: Sie besitzen die gleichen Rechte und Pflichten. Die Weimarer Reichsverfassung hat seinerzeit die beiden Großkirchen vorgefunden und ihren bisherigen Status beibehalten, zugleich aber allen anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die Möglichkeit eröffnet, mit ihnen „gleichzuziehen“.

    Könnte auch den altkorporierten Körperschaften ihr Körperschaftsstatus genommen werden? Und wer wäre dafür zuständig?

    Hier besteht allerdings ein Unterschied zwischen den altkorporierten und den neukorporierten Körperschaften: Während den neukorporierten der Körperschaftsstatus von der Behörde durch Verwaltungsakt wieder entzogen werden kann, also mit einem sehr einfachen Instrument, bedarf es bei den altkorporierten einer Verfassungsänderung. Das erfordert nach Art. 79 II GG eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat.

    Augenmerk ist zudem stets auf das Vertragsrecht zu werfen: Zahlreiche Verträge gewährleisten den Körperschaftsstatus ebenfalls, so dass eine Verfassungsänderung einen vertragswidrigen Zustand herstellen könnte, falls dem keine Beachtung geschenkt wird.

    Verfassungspolitisch zweifle ich an der Sinnhaftigkeit eines solchen Vorhabens. In den vergangenen Jahren hat es eine bemerkenswerte Nachfrage nach dem Körperschaftsstatus, einen regelrechten „Boom“ gegeben: Zeugen Jehovas (die diesen Status lange bewusst abgelehnt haben), Baháʼí, Mormonen (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage), ein Hindu-Tempelverein und nicht zuletzt die Ahmadiyya Muslim Jamaat als erste muslimische Religionsgemeinschaft – sie alle haben den Status beantragt und mussten sich ihn nicht selten sogar gerichtlich erstreiten. Für diese und für weitere Gemeinschaften, die den Status erlangen wollen, ist er also ein attraktives Angebot. Warum ihn dann abschaffen?

    Die Weimarer Kirchenartikel, das zeigt sich gerade in Art. 137 V WRV, erklären Religion und Weltanschauung nicht zur Privatsache; sie drängen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht ins Privatrecht ab, sondern eröffnen nach den beiden Großkirchen allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die Möglichkeit zur Erlangung des Körperschaftsstatus‘. Die „Idee“ der Weimarer Kirchenartikel besteht also nicht in einem „Downsizing“, sondern in einem „Upgrading“. Dass diese Konzeption mehr und mehr akzeptiert wird – darüber dürfen wir schon froh sein und haben daher allen Anlass, diesen Weg fortzusetzen!

    Herr Dr. Neureither, ich danke Ihnen für das Gespräch!

     

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.