Der Erfolg von PEGIDA auf der Straße und in den Medien hat viele überrascht. Mich überrascht allerdings auch, wer PEGIDA öffentlich oder zumindest in den sozialen Netzwerken widerspricht. Freunde, Bekannte und Personen des öffentlichen Lebens werden plötzlich zu Vorkämpfern liberaler Werte, die zuvor als Kritiker Andersdenkender, Andersglaubender und Anderslebender aufgefallen waren. Da gibt es diejenigen, die sonst das Kopftuch, die Beschneidung und den Moscheebau kritisieren und den Islamismus im Mainstream des Islam verorten. Andere kritisieren sonst alles, was irgendwie religiös ist und sich nicht freiwillig aufs rein Private beschränkt. Und schließlich stilisieren sich manche als besonders tolerant, von denen ich meist nur lese, dass die Presse in Deutschland (wenn nicht gar ganz Deutschland) von Zionisten kontrolliert wird. Wer sich mit religiöser Vielfalt beschäftigt, bekommt in seinem Facebook-Freundeskreis täglich so einiges geboten…
Furcht vor dem Anderen kein ostdeutsches und kein Randphänomen
Auch jenseits der Küchenempirie zeigt sich: Die Ablehnung gegen andere Religionen und Weltanschauungen sitzt tief in Deutschland. Eine Studie von Prof. Dr. Detlef Pollack von der Universität Münster hatte dies deutlich gezeigt: Jeder zweite Deutsche nimmt den Islam als Bedrohung wahr. Jeder Dritte Westdeutsche sieht den Atheismus als Bedrohung an. Selbst in Ostdeutschland bezeichnen 16 % Atheismus als bedrohlich. In West wie Ost empfinden 19 % das Judentum als Bedrohung. Christentum, Buddhismus und Hinduismus werden immerhin noch von jeweils etwa 10 % gefürchtet. Die Furcht vor dem Anderen ist kein ostdeutsches Phänomen und kein Randphänomen. Sie zieht sich durch die gesamte Gesellschaft und äußert sich je nach persönlichem Standpunkt ganz unterschiedlich.
Viele lehnen nicht die Botschaft von PEGIDA ab, sondern nur die Form der Vermittlung
Ich glaube, dass sich viele Menschen nicht deshalb gegen PEGIDA aussprechen, weil sie tatsächlich liberal und tolerant sind. Sie sprechen sich gegen PEGIDA aus, weil sie nicht extrem sein wollen. Neonazis, die Neue Rechte und Hooligans fühlen sich pudelwohl auf den Demonstrationen – allein deshalb können sich viele, die sich für aufgeklärt halt, nicht mitmarschieren. Für viele ist nicht die Botschaft von PEGIDA ein Problem, sondern nur die Form der Vermittlung. Selbst ernannte Verteidiger der offenen Gesellschaft, die stets nur andere diskreditieren (seien dies nun Linksextremisten, Rechtsextremisten, Islamisten, Kapitalisten usw.), aber nicht für mehr Freiheitsräume im Konkreten eintreten, bedienen nur ihre eigene Furcht und dienen nicht der Freiheit des Anderen.
Auch halbherzige Distanzierungen von PEGIDA sind eine Chance
Auch wenn ich viele Stellungnahmen gegen PEGIDA nur halb ernst nehmen kann, so stellen sie doch eine Chance dar. Die Gesellschaft kann an den Diskussionen erkennen, dass es an der Zeit ist, grundsätzlich über Vielfalt in Deutschland zu sprechen. Diese Vielfalt ist zwar noch durch Einwanderung geprägt, aber letztlich löst sich die Vielfalt in unserem Land vom Migrationshintergrund – alles andere wäre in einer freien Gesellschaft auch überraschend. Kinder von eingewanderten Muslimen werden Atheisten, Christen werden zu Buddhisten, Agnostiker werden zu Muslimen. Wer zu welcher Gruppe gehört, lässt sich nicht an der Nasenspitze oder am Namen ablesen.
Deutsche Konferenz für Religion und Weltanschauung statt problematischer Extrawürste für den Islam
Die Politik hat die Chance, den Islam endlich aus der Schmuddelecke zu holen. Und das gelingt nur, wenn auch alle anderen Religionen und Weltanschauungen in Deutschland aus der Schmuddelecke geholt werden. Denn den Muslimen wird ein Bärendienst erwiesen, wenn der Staat ihre Rechte zwar scheibchenweise anerkennt, diese dann aber als Extrawurst in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Und das obwohl die meisten „Aufwertungen“ durch den Staat faktisch neue Entmündigungen sind. Wir brauchen daher eine Deutsche Konferenz für Religion und Weltanschauung (DKRW). Wir müssen uns endlich der Vielfalt in Deutschland stellen und lernen, mit ihr umzugehen. Die Politik muss 1. anerkennen, dass Deutschland vielfältig ist, 2. erkennen, dass die Vielfalt von vielen nicht respektiert wird und 3. klar machen, dass jeder Deutsche unabhängig (aber nicht losgelöst) von seiner Religion und Weltanschauung die gleichen Rechte hat.