von Sven W. Speer
Der Beschluss der Piraten lässt trotz der markigen Überschrift viele Fragen offen. Die Piraten erkennen grundsätzlich die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft und die Bedeutung der Religion für den Einzelnen an. Zugleich wollen sie die Privilegien der großen Kirchen abschaffen. Klar wird der Beschluss nur in einem Punkt: Die Kirchensteuer muss abgeschafft werden. Darüber hinaus ist unklar, wie die Privilegien der großen Kirchen nun genau abgeschafft werden sollen. Soll der Staat frei von Religion werden? Oder soll er sich neben den großen Kirchen auch anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften öffnen?
Sowohl Forderungen nach einer laizistischen wie auch nach einer offenen Religionspolitik haben Teilnehmer des Parteitags erhoben. Konkurrierende Anträge, die eine strikte Trennung von Staat und Kirche weit schärfer eingefordert haben, haben keine Mehrheit gefunden. Die Piraten haben sich also ganz bewusst gegen einen Laizismus nach französischem oder gar türkischem Vorbild entschieden. Nicht wenige Redner haben sogar betont, Religion dürfe nicht aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden, weil andernfalls der Staat seine religiösen Bürger benachteiligen würde. In religionspolitischer Hinsicht ist auf Bundesebene offen, wohin die Piraten ihren Kurs einschlagen werden. Im Landesverband Berlin ist der Kurs weit klarer; er warb mit dem Slogan „Religion privatisieren jetzt“.
[pullquote_right]In Piratensprache wäre das vielleicht eine „liquide“ Religionspolitik. Wir nennen das offene Religionspolitik.[/pullquote_right]Die Frage nach der Religionspolitik ist für die Piraten keine unwesentliche. Die Antwort darauf entscheidet mit über die zukünftige Ausrichtung der Partei. Der Bundesparteitag hat sich dieses Wochenende für ein bedingungsloses Grundeinkommen entschieden und damit den Kurs wirtschaftspolitisch nach links ausgerichtet. Auch wenn sich die Piraten dagegen verwehren, links oder rechts zu sein, so würde eine streng laizistische, antireligiöse Religionspolitik doch den Linkskurs verfestigen. Anstatt eine innovative „piratige“ Religionspolitik zu präsentieren, würde die Piratenpartei letztlich zu einer sozialistischen Partei mit besonderem Schwerpunkt auf dem Internet werden. Forderungen in diese religionspolitische Richtung wurden auf dem Parteitag des Öfteren erhoben, fanden jedoch keine Mehrheit. Zu diesen Forderungen gehörte die zwangsweise Demokratisierung religiöser Organisationen und die gewaltsame Durchsetzung aller Grundrechte in ihnen. Die Grundrechte, die im Ursprung Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat sind, würden so zur Legitimationsgrundlage staatlicher Intervention in der Gesellschaft. Ein Bekenntnis zur Freiheit sieht anders aus.
Die Piraten haben indes auch das Potential, eine offene Religionspolitik zu gestalten. Als Sammelbecken der Ausgestoßenen und Ungehörten könnten sie Partei ergreifen für all jene, die sich auch religionspolitisch nicht vertreten fühlen. Das Ergebnis wäre keine Privatisierung der Religion durch den Staat, sondern eine Öffnung desselben auch für Minderheiten. Der Staat hätte keine säkular-laizistische Ausrichtung, sondern seine Einrichtungen passten sich entsprechend den Werten und Idealen seiner Bürger an. In Piratensprache wäre das vielleicht eine „liquide“ Religionspolitik. Wir nennen das offene Religionspolitik.