Khorchide als Luther? Religionshege und Fürstenreformation

    von Sven W. Speer

    Der Streit um den Münsteraner Professor für islamische Religionspädagogik Mouhanad Khorchide greift weit über die Muslime in Deutschland hinaus. Die im Koordinationsrat der Muslime (KRM) organisierten Verbände attestierten dem Professor mit einem Gutachten vom 17.12.13, das Verhältnis zu ihm sei „nachhaltig zerrüttet und irreparabel beschädigt“. Er müsse folglich durch einen Lehrenden abgelöst werden, der die Theologie der Verbände repräsentiere.

    Die allgemeine Öffentlichkeit hingegen hat ihr Herz für den „gejagten Reformator“ entdeckt. Schnell werden Parallelen zum Reformator Martin Luther herangezogen – selbst dann wenn sich die Kommentatoren davon explizit distanzieren: Khorchide wolle lediglich „das Verständnis des Islams von innen heraus erneuern und stellt dabei Mündigkeit und Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt“. Das medial vermittelte Bild ist meist mehr oder weniger dies: Der liberale Reformer wird von konservativen und fundamentalistischen Verbänden bedroht. In seiner Position der Schwäche müsse der deutsche Staat (in diesem Fall NRW) dem Bedrohten helfen – gewissermaßen wie Luther auf der Wartburg vom sächsischen Kurfürsten vor einer übermächtigen katholischen Kirche geschützt worden ist.

    Das Bild hinkt indes gewaltig. Der staatliche Schutz liegt bereits jetzt bei Khorchide. Abgesehen von der Ahmadiyya Muslim Jamaat ist in Deutschland keine einzige islamische Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft anerkannt – und damit keinen der Verbände des KRM. Als Professur für Religionspädagogik genießt der Lehrstuhl in Münster aber bereits jetzt das staatliche Gütesiegel, tatsächlich Religion und damit den Islam zu repräsentieren. Auch die Finanzmittel, die für den Aufbau der islamischen Theologie vom Staat aufgewendet werden, stellen vermutlich alles in den Schatten, was den Verbänden des KRM von staatlicher Seite aus zukommt. Nicht Khorchide wird von übermächtigen Verbänden an den Rand gedrängt, sondern die Verbände als größte Organisationen des Islam in unserem Land durch den Staat. Khorchide selbst ist dabei freilich selbst Spielfigur der Politik und nicht Strippenzieher hinter den Kulissen.

    Integration hat Konjunktur in Deutschland, nicht die Freiheit, anders zu sein. Entsprechend äußern sich bei Tagungen zum Islam in Deutschland regelmäßig Religionsverfassungsrechtler und Politiker. Das Konzept der „Religionshege“ (Janbernd Oebbecke) wird so überdehnt, dass der Staat den Islam zivilisieren solle. Pressemitteilungen von Ministerien feiern den Islamunterricht als Erfolg für die Integration, weil durch ihn den jungen Muslimen die Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nahe gebracht würden. Aufgrund der religiös-weltanschaulichen Neutralität muss der deutsche Staat jedoch die Autonomie der Religion wahren. Er darf keinen Einfluss darauf ausüben, was in den Gemeinschaften geglaubt und gedacht wird. Genau dies ist jedoch das erklärte Vorhaben in der deutschen Islampolitik: Theologische Lehrstühle mit „gemäßigten“ und „demokratischen“ Personen zu besetzen, die künftige Imame und Religionslehrer ausbilden, die wiederum die muslimischen Kinder im Unterricht erziehen – unter größtmöglicher Umgehung der Verbände, die für den Staat die einzig legitimierten Kooperationspartner darstellen.

    Wenn der Vergleich von Khorchide zu Luther bemüht wird, dann ist er verzerrt, wenn der bedrohte Luther der Wartburg gedacht wird. Vermutlich greift der Vergleich eher, wenn wir an die deutschen Fürsten denken, die sich der Idee des Reformators Luther bedienten, um die Bevölkerung in ihrem Sinne zu formen (Stichwort „Fürstenreformation“). Auch dieses Bild ist freilich überzogen, geht aber zumindest in die richtige Richtung. Inhaltlich stehe ich Khorchide näher als dem KRM; aber das spielt ebenso wenig eine Rolle wie die persönlichen Präferenzen der Politiker. Im weltanschaulich-neutralen Staat sind die Religionsgemeinschaften autonom. Sie können und müssen selbst entscheiden, wer für sie predigt, ihre Kinder erzieht und ihr Gesicht in der Öffentlichkeit ist.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.