Sechs Vorurteile gegen das Kopftuch der Lehrerin – und wie man sie widerlegt

    „Deutsche Schulen werden durch Lehrerinnen mit Kopftuch islamisiert“

    Über genaue Zahlen kann nur spekuliert werden. Der Anteil von Lehrerinnen mit Kopftuch wird allerdings sehr gering sein. Entgegen der Wahrnehmung in der Bevölkerung sind gerade einmal fünf Prozent der Bevölkerung Muslime. Davon ist naturgemäß nur die Hälfte weiblich. In der größten Gruppe der türkischstämmigen Musliminnen tragen nur 31 Prozent das Kopftuch. Jüngere Jahrgänge tragen das Kopftuch zudem häufiger als ältere Jahrgänge. Es ist folglich davon auszugehen, dass nur eine von hundert Lehrkräften ein Kopftuch tragen wird. Eine Islamisierung deutscher Schulen sieht anders aus.

    „Das Kopftuch der Lehrerin verletzt die Neutralität des Staates“

    Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seiner Pressemitteilung eine sehr klare Antwort gegeben: „Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Dies gilt auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Schule. Die bloße Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte wird durch die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates nicht ohne Weiteres ausgeschlossen.“

    „Das Kopftuch der Lehrerin ist ein Symbol für die Unterdrückung der Frau“

    Viele assozieren mit dem Kopftuch die Verneinung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Tatsächlich sind Lehrerin mit Kopftuch aber Ausdruck von Emanzipation. Diese Frauen haben studiert und wollen arbeiten gehen. Sie entsprechen damit ganz und gar nicht dem Bild der ungebildeten Frau, die sich „nur“ um die Erziehung der eigenen Kinder kümmert. Erst durch das faktische Berufsverbot durch das Kopftuchverbot werden diese Frauen an Heim und Herd gefesselt – wodurch die Männer in der Familie als Alleinverdiener entsprechend gestärkt werden. Wenn der Staat das Kopftuch verbietet, bleibt auch eine Diskriminierung in der Privatwirtschaft salonfähig.

    „Muslimische Schüler werden durch das Kopftuch der Lehrerin radikalisiert“

    Mehrere junge Mädchen aus Europa, die sich dem IS angeschlossen haben, haben angefangen Kopftuch zu tragen, bevor sie letztlich ausgewandert sind. Das Kopftuch war ein erstes Zeichen dafür. Die Intuition sagt daher vermutlich, dass ein Kopftuch der Lehrerin diese Radikalisierung unterstützen würde. Ich gehe vom Gegenteil aus. Wenn junge Muslime sehen, dass der Islam in Deutschland anerkannt ist – und letztlich freier ist als im IS – sind die Chancen auf Radikalisierung geringer. Zudem sind akademisch ausgebildete Lehrerinnen mit Kopftuch ein gutes Beispiel dafür, dass Religiosität un Radikalität keinesweigs Hand in Hand gehen. Sie können ein Vorbild sein, wie sich Muslime in der Gesellschaft einbringen können.

    „Das Kopftuch der Lehrerin übt Druck auf muslimische Schülerinnen aus, selbst Kopftuch zu tragen“

    Ein Einfluss kann sicherlich nicht vollständig ausgeschlossen werden. Das gleiche gilt allerdings auch für Lehrerinnen, die kein Kopftuch tragen. Auch sie haben eine Vorbildfunktion. Und obwohl es bislang so gut wie keine Lehrerin mit Kopftuch an deutschen Schulen gibt, tragen etliche junge Musliminnen ein Kopftuch in der Schule. Der Einfluss der Lehrkräfte scheint begrenzt zu sein. Im Übrigen gilt dies für alle Lehrkräfte. Denn die persönlichen Einstellungen und der Lebenswandel der allerwenigsten Lehrkräfte ist „geheim“. Von manchen Lehrkräften ist bekannt, dass sie besonders links oder besonders konservativ sind. Manche engagieren sich in einer Partei, andere in einem Kirchenchor. Letztlich wächst die eigene Identität von Schülern nicht nur durch Übernahme von Eigenschaften ihrer Lehrkräfte, sondern auch durch die Abgrenzung von ihnen.

    „Künftig unterrichten Islamisten an deutschen Schulen“

    Es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Islamismus und Kopftuch. Wie fast alle religiösen Symbole wurde auch das Kopftuch in seiner Anfangszeit von hochreligiösen Gruppen geprägt, insbesondere im Islam. Davon hat sich das Kopftuch allerdings längst emanzipiert. Das Kopftuch ist mittlerweile kulturell eingebettet in die verschiedensten islamischen Strömungen. Viele emanzipierte junge Frauen tragen das Kopftuch als Symbol der Individualität. Wer jedoch tatsächlich islamistische Ansichten hat, wird auch weiterhin an deutschen Schulen nicht unterrichten dürfen. Das gilt für Extremisten aller Richtungen.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.