The Good, the Bad and the Ugly: Religionen und Weltanschauungen in Deutschland

    Die deutsche Religionspolitik wird von der Vorstellung bestimmt, dass die Gesellschaft als Ganzes profitiert, wenn Staat und Religion zusammenarbeiten. Daher fördert der Staat die religiösen Gemeinschaften durch Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, den Einzug der Kirchensteuer, Theologie an staatlichen Universitäten, die Finanzierung kirchlicher Wohlfahrt und vieles mehr. Die meisten dieser Instrumente sind durch das Grundgesetz und zahlreiche Staatskirchenverträge und Konkordate rechtlich abgesichert.

    Die enge Kooperation von Staat und Religion beruht auf zwei Voraussetzungen: Zum einen muss die Religion den Staat unterstützen oder ihm zumindest nicht feindlich gegenüber stehen. Zum anderen muss die Religion so organisiert sein, dass eine enge Zusammenarbeit mit dem Staat überhaupt möglich ist. Die beiden großen Kirchen, die römisch-katholische Kirche und die in der EKD verfassten evangelischen Kirchen, erfüllen diese Voraussetzungen. Als ehemals von deutschen Staaten strukturierte, eingebundene oder gar geschaffene Kirchen stehen sie der staatlichen Ordnung traditionell sehr nah und sind hierarchisch aufgebaut. Sie vertreten viele Werte, die von einer Mehrheit der Bevölkerung und der politischen Elite geteilt werden. Sie repräsentieren in Deutschland daher die ‚gute‘ Religion. Ohne Umschweife wird ihnen zugestanden, dass sie Religionsfreiheit, öffentliche Anerkennung und staatliche Unterstützung genießen. Das gleiche gilt für die jüdischen Gemeinden in Deutschland – zumindest von Seiten der Politik. In der Bevölkerung hingegen halten sich antisemitische Vorbehalte: Knapp 30 Prozent der Deutschen in West- wie Ostdeutschland haben eine negative oder eher negative Einstellung gegenüber Juden – ein im westeuropäischen Vergleich hoher Wert.[1]

    Wie in dem Italo-Western „The Good, the Bad and the Ugly“ gibt es neben dieser ‚guten‘ Religion aber auch ‚hässliche‘ (ugly) und ‚böse‘ (bad) Religion. Die ‚hässlichen‘ Religionen sind nicht gefährlich für den Staat. Aber sie sind ihm unbequem. Zu ihnen gehören Altkatholiken, Orthodoxe, Aleviten, Baha’i, Buddhisten, säkulare Humanisten, manche Freikirchen und vielleicht auch die Mormonen (sofern sie nicht als ‚böse‘ Sekte eingeordnet werden). Diese Gemeinschaften werden vom Staat als unproblematisch angesehen, weil sie sich nicht gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung aussprechen. Einige von ihnen sprechen sich sogar ganz dezidiert für die Freiheit in unserem Land aus. Was sie für den Staat unbequem und damit ‚hässlich‘ macht, ist dass sie entweder keine staatliche Unterstützung im Ausmaß der ‚guten‘ Religionsgemeinschaften wollen oder sie für die Unterstützung keine passende Organisationsstruktur aufweisen. Allein durch ihre schiere Präsenz stellen sie das aktuelle Verhältnis von Staat und Kirche infrage, da das Engagement des Staates für die ‚guten‘ Gemeinschaften wie ein Privileg erscheinen muss.

    Schließlich gibt es für den deutschen Staat aber auch die ‚bösen‘ Gemeinschaften. Sie werden als gefährlich für die Freiheit unserer Gesellschaft angesehen. Häufig wird diesen Gemeinschaften gar abgesprochen, überhaupt eine Religion oder Weltanschauung zu sein. Scientology wird zum Wirtschaftsunternehmen deklariert, Jehovas Zeugen zur gehirnwaschenden Sekte und der Islam zur politischen Ideologie. Scientology ist in Deutschland daher bis heute nicht als Religion anerkannt (wobei bemerkt werden muss, dass ihr religiöser Status selbst in den sehr liberalen USA hoch umstritten ist). Jehovas Zeugen müssen sich ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts in jedem Bundesland aufs Neue einklagen, obwohl die Gerichte längst entschieden haben, dass ihnen der Status nicht verwehrt werden darf. Und die muslimischen Gemeinschaften schließlich werden nicht als Religionsgemeinschaften anerkannt und können Religionsunterricht und islamische Theologie nur in Abstimmung mit dem Staat gestalten – verglichen mit den ‚guten‘ Gemeinschaften.

    Die deutsche Religionspolitik ist asymmetrisch und diskriminierend, weil sie Bekenntnisgemeinschaften für unterschiedlich förderungswürdig hält. Analog zur alten Devise ‚cuius regio, eius religio‘ (Wessen Land, dessen Religion) sortieren die Regierungen aus, welche Gemeinschaften gefördert (the good ones), welche toleriert  (the ugly ones) und welche klein gehalten werden (the bad ones). Gerechtfertigt wird diese paternalistische Religionspolitik häufig mit dem Verweis auf den Ausspruch von Ernst-Wolfgang Bockenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“[2] Da der Staat die Voraussetzungen der Freiheit nicht garantieren könne, müsse er Werteagenturen in der Gesellschaft unterstützen, die den Wert der Freiheit (oder was dafür gehalten wird) reproduzieren, so die gängige Interpretation. Diese Interpretation greift zu kurz, denn gleich im Satz darauf schließt Böckenförde an: „Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Der freiheitliche Staat darf eben keine Anreize dafür setzen, dass manche Gemeinschaften stärker sind als andere.

    Wenn wir Deutschland zu einem offenen Land der Freiheit machen wollen, darf der deutsche Staat religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften nur dann einschränken, wenn sie ihre eigenen Anhänger oder andere Bürger wesentlich gefährden. Gemeinschaften, von denen eine solche Gefahr nicht ausgeht, dürfen weder vom öffentlichen Raum, noch von staatlicher Förderung ausgeschlossen werden. Denn der Staat ist der Staat aller seiner Bürger, ganz egal, welche Religion sie haben oder ob sie keine haben. Dafür steht Offene Religionspolitik.



    [2] Ernst-Wolfang Böckenförde (1967): Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Sergius Buve: Säkularisation und Utopie, S. 93.

    Dr. Sven Speer
    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.