Offene Religionspolitik vs. geschlossene Religionspolitik

    Geschlossene Religionspolitik nimmt Einfluss auf die Religiosität des Einzelnen und der Gesellschaft. Ihre Verfechter haben klare Zielvorstellungen davon, welche religiös-weltanschauliche Zusammensetzung für die Gesellschaft am besten sei. Sie instrumentalisieren den Staat, um vorzugeben, ob und welchem Bekenntnis seine Bürger folgen sollen. Geschlossene Religionspolitik finden wir bei ganz unterschiedlichen Gruppen: bei denjenigen, die am lautesten darauf beharren, Deutschland sei ein christliches Land, genauso wie bei den Laizisten, die Religion vollständig aus dem öffentlichen Leben verdrängen wollen. Die einen diskriminieren die Nichtreligiösen und die Angehörigen religiöser Minderheiten, die anderen diskriminieren religiöse Menschen. So unterschiedlich sich beide Gruppen wähnen, eines haben sie gemeinsam: Die Religiosität des Einzelnen und seine Freiheit, die Ausrichtung seines Lebens ungehindert selbst zu wählen, respektiert kein Konzept geschlossener Religionspolitik.

    Offene Religionspolitik respektiert die Religiosität des Einzelnen. Ihr sind sowohl staatliche Missionierung als auch staatliche Säkularisierung verwehrt. Sie lässt die Antwort auf letzte Fragen offen und gibt keine Wahrheiten vor. Die Entscheidung für oder gegen eine Religion überlässt eine offene Religionspolitik dem einzelnen Bürger. Heute ist es immer weniger bloßes Produkt der Tradition, ob und welches Bekenntnis die Bürger haben. Die einen bleiben bewusst bei ihrem traditionellen Bekenntnis, andere wenden sich von ihrem alten Bekenntnis ab und einer anderen Religion oder Weltanschauung zu oder leben ihr Leben ganz bewusst ohne jedes Bekenntnis. Diese Vielfalt nimmt ein offener Staat hin.

    Offen muss der Staat auch für das gelebte Bekenntnis seiner Bürger sein. Zwar ist Religion Privatsache, aber dennoch hat jeder Bürger das Recht, seine Religion oder Weltanschauung in das öffentliche Leben einzubringen. In der geschlossenen Religionspolitik hingegen kann nicht jeder Bürger sein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis öffentlich leben. Ein Beispiel dafür ist das so genannte Kopftuchverbot: Einige Bundesländer untersagen muslimischen Lehrerinnen, ihre Religiosität mit einem Kopftuch auszudrücken. Dadurch macht der Staat sie zu Fremden im eigenen Land.

    Ein Staat, der Heimstatt aller Bürger sein will, muss genau umgekehrt handeln: Er darf keine religiös-weltanschaulichen Symbole in öffentlichen Räumen vorschreiben. Er darf keine Kruzifixe in Schulen, Gerichten und in der Verwaltung einfordern. Aber er muss zulassen, wenn seine Beamten und Angestellten ihr persönliches Bekenntnis zeigen, sofern sie dadurch in der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

    Die Grenzen sind dabei häufig nicht einfach zu ziehen. Konflikte und Probleme sind vorprogrammiert. Aber wenn wir in einer religiös-weltanschaulich vielfältigen Gesellschaft friedlich leben wollen, müssen wir uns auf die Andersartigkeit des Anderen einlassen. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, die Bürger eines Landes alle gleich machen zu können (und das damit irgendetwas gewonnen wäre). Wir müssen lernen, für die Vielfalt offen zu sein.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.