Scientology und Junge Liberale

    Wenn es eine Organisation gibt, die bei den Jungen Liberalen für das Böse steht, dann ist es Scientology. 1992 fasst der Bundeskongress den Beschluss, dass eine Mitgliedschaft bei Scientology mit derjenigen bei den Jungen Liberalen unvereinbar ist. Gegen betroffene Mitglieder sollen unverzüglich Ausschlussverfahren eingeleitet werden. 1994 fordern die JuLis „alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte – Parteien, Kirchen, Vereine, Verbände – dazu auf, gemeinsam gegen das erklärte Bestreben der Scientologen vorzugehen, ihre zweifelhaften Ziele und menschenverachtenden Vorgehensweisen in allen Bereichen unseres täglichen Lebens zu tragen“. Sie fordern ein Werbeverbot, Aufklärungsarbeit an den Schulen, eine Liste aller Unternehmen mit finanzieller oder personeller Scientologybeteiligung, verdeckte Ermittlungen und die Unterstützung von Aussteigergruppen. Es reicht den JuLis damals nicht, nur den eigenen Verein gegen Scientologen abzuschirmen: Sie fordern auch alle anderen gesellschaftlichen und politischen Kräfte auf, es ihnen gleichzutun und Scientologen von einer Mitgliedschaft auszuschließen. Viele tun es ihnen gleich.

    Deutschland in den 1990er Jahren steckt mitten in der Sektenhysterie. Der Grund dafür: das Werk von Lafayette Ronald Hubbard, kurz: L. Ron Hubbard. Als Student gescheitert, als Science-Fiction-Autor mäßig erfolgreich (Battlefield Earth), schlägt seine große Stunde mit der Verlegung seines Buches „Dianetik – Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit“. Nach eigenen Aussagen geht es ihm um nichts weniger als die Befreiung der Menschheit: „Clear the Planet“. Nach wenigen Jahren baut Hubbard Scientology zu einer Religion um. Steuerbefreiungen dürften dabei eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Nach dem Verschwinden von Hubbard aus der Öffentlichkeit und der Bekanntgabe seines Todes 1986 übernimmt David Miscavige die Führung. Er zentralisiert die Organisation, verstärkt die straff hierarchischen Befehls- und Gehorsamsstrukturen und geht auf aggressiven Expansionskurs. Auch in Deutschland. Hierzulande fürchten Politik und Öffentlichkeit die Übernahme des Landes durch Scientology. Zahlen von angeblich 300.000 deutschen Scientologen machen die Runde. Die wildesten Gerüchte kursieren, welche Unternehmen in ihrer Hand sind.

    März 1998 stellen die JuLis fest, dass die „Scientology Organisation eine ständig wachsende Bedrohung für die Gesellschaft und die Demokratie“ sei. Die vom Bundestag eingerichtete Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ kommt zu einem anderen Ergebnis: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stellen gesamtgesellschaftlich gesehen die neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und  Psychogruppen keine Gefahr dar für Staat und Gesellschaft oder für gesellschaftlich relevante Bereiche.“ (BT-Drs. 13/10950) Ich will nicht sagen, dass Scientology Inhalte vertritt, die ich auch nur im Ansatz teilen würde. Ich will auch nicht sagen, dass Scientology harmlos ist. Aber das Risiko, das von der Organisation ausgeht, ist vor allem ein persönliches. Sie ist bei weitem nicht so einflussreich, wie gemutmaßt wird. Statt 300.000 deutschen Scientologen gibt es wohl gerade mal fünf- bis siebentausend. Weltweit nur etwa 100.000. Scientology laufen die Mitglieder davon – wenn sie können. Die Organisation versteht es dennoch, sich zu inszenieren. Die neue Europazentrale in Berlin ist riesig – und leer. Dem Mythos Scientology schadet das nicht.

    Anhänger wie Gegner leben davon, dass die Organisation groß und gefährlich erscheint. Und dazu tragen die Jungen Liberalen seit zwanzig Jahren bei. Beschlossen hat der Verband zwar ein Werbeverbot. Aber auf unseren Mitgliedsanträgen führen wir vieltausendfach Scientology  als die gefährlichste Organisation für unser Verständnis von Freiheit an.

    Wir haben nun die Wahl, ob wir den Unvereinbarkeitsbeschluss aufheben – und damit riskieren, in die Nähe von Scientology gerückt zu werden – oder weiter Werbefläche für den Mythos der Macht von Scientology sein wollen. Ich bin mir sicher: Alles bleibt beim Alten.

    Dr. Sven Speer ist Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik (FOR) seit dessen Gründung 2011. Als Mitarbeiter und im Rahmen von Vorträgen und Gutachten berät er Regierungsorganisationen, Abgeordnete, Religionsgemeinschaften und Verbände zum Verhältnis von Staat und Religion – u.a. in Berlin, Jerusalem, Beirut, Kairo, Washington D.C., Houston und Salt Lake City. Er ist darüber hinaus Co-Founder von inteero, einer Plattform für Online-Einrichtungsberatung. Speer hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘, am German Marshall Fund of the United States und am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien zur politischen Regulierung von Religion geforscht.