Den Islam anerkennen!

    Das deutsche Religionsverfassungsrecht kennt eine bewährte Form der Kooperation zwischen religiösen Organisationen und dem Staat. Anders als in Systemen mit einer strikten Trennung nehmen religiöse Organisationen dabei nicht nur seltener Positionen jenseits des gesellschaftlichen Konsens ein. Sie zeigen auch eine größere Bereitschaft, sich auf partnerschaftliche Beziehungen mit dem Staat im Dienste der Allgemeinheit einzulassen. Dieses verdeutlicht ein Vergleich der Forderungen christlicher Kirchen in westlichen Demokratien mit unterschiedlichen Staat-Kirche-Verhältnissen.

    Dass es in Deutschland ebenso glückt, nicht-christliche Organisationen anzuerkennen und in die Kooperationsbeziehungen mit dem Staat einzubinden, verdeutlicht das Beispiel der jüdischen Gemeinden. Umso dringlicher tritt nun die Frage der Anerkennung der größten nicht-christlichen Religion in Deutschland auf die Tagesordnung: des Islam.

    Das Grundgesetz formuliert in Artikel 140 einen Kriterienkatalog für die Anerkennung einer religiösen Organisation als Körperschaft. Dabei verlangt es etwa die Garantie ihrer Dauerhaftigkeit, eine ausreichende Mitgliederzahl sowie das Vorhandensein einer inneren Verfassung. Der Islam, der grundsätzlich keine festen Organisationsstrukturen kennt, hat hier noch Nachholbedarf. Dass er dem nachkommt, sollte eingefordert werden. Die Anforderungen zu erfüllen kann von den muslimischen Organisationen jedoch nur dann erwartet werden, wenn sie darauf vertrauen können, dass ihre Anstrengungen am Ende auch honoriert werden.

    Für dieses Vertrauen besteht bisher nur wenig Anlass. Das liegt nicht nur an immer neuen Hürden, die von offizieller Seite einer Anerkennung islamischer Organisationen in den Weg gestellt werden. Die Voraussetzung der „Verfassungstreue“ der betreffenden Organisation – wenn auch kein Kriterium des Religionsverfassungsrechts – muss man da noch als legitime Forderung betrachten. Ebenso kann verlangt werden, dass keine Abhängigkeiten von „Mutterorganisationen“ oder Behörden im Ausland bestehen.

    Problematisch wird jedoch bereits die regelmäßig geforderte „Repräsentativität“ der Organisationen unter den Muslimen in Deutschland, die sich deshalb zur Schaffung immer neuer Dachverbandsstrukturen veranlasst sehen. Kaum jemand käme auf die Idee, die Forderung nach der Bildung eines zentralen Ansprechpartners, mit der der Islam wie selbstverständlich konfrontiert wird, an die christlichen Kirchen heranzutragen. Auch kann man zwar die religiöse Ausrichtung vieler Verbände als zu konservativ kritisieren. Ein Kriterium für die Anerkennung bildet jedoch auch diese Frage nicht.

    Das Vertrauen wird auf der muslimischen Seite jedoch endgültig untergraben, wenn von regierungsamtlicher Stelle, zuletzt durch Bundesinnenminister Friedrich, die Tatsache bestritten wird, dass der Islam überhaupt ein „Teil Deutschlands“ sei. Auf solchen Aussagen lässt sich nur schwer eine Gesprächsgrundlage zwischen Staat und Muslimen aufbauen. Sie zerstören stattdessen fast zwangsläufig die Konsens- und Kooperationsbereitschaft der muslimischen Seite.

    Die Anerkennung islamischer Organisationen als Körperschaften des Öffentlichen Rechts kann nicht dauerhaft verwehrt werden. Zumindest ist ihre zügige Anerkennung als Religionsgemeinschaften nach Artikel 7 GG geboten. Nur so kann islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen angeboten werden.

    Eine solche Anerkennung ergibt sich folglich nicht nur aus den Vorgaben des Grundgesetzes. Sie bildet gleichzeitig auch ein, wenn nicht sogar das entscheidende Instrument zur Integration des Islam in Deutschland. Die Erfahrung zeigt, dass die Kooperationsbereitschaft muslimischer Organisationen steigt, wenn ihnen der Staat realistische Optionen für eine Aufwertung bietet. Übt der Staat dagegen verstärkt Druck auf den Islam aus, werden gerade die Kräfte innerhalb der Organisationen gestärkt, die einer Öffnung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft skeptisch gegenüberstehen.

    Die derzeitige Nicht-Anerkennung des Islam in Deutschland kommt letztlich nicht nur einer rechtlichen, sondern auch einer dauerhaften symbolischen Herabsetzung der zweitgrößten Religion in Deutschland gleich. Diese Herabsetzung gefährdet die Integration. Der Gegenentwurf dazu ist eine offene Religionspolitik. Sie sieht den Islam auf Augenhöhe mit den anderen in Deutschland anerkannten Religionsgemeinschaften – und steht für alle daraus folgenden rechtlichen und politischen Konsequenzen.

    Matthias Kortmann ist Politikwissenschaftler und war stellvertretender Vorsitzender des Forums Offene Religionspolitik. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Systeme und Europäische Integration des Geschwister-Scholl-Instituts für Politische Wissenschaft (GSI) an der Ludwigs-Maximilians-Universität München (LMU). Nach Abschluss seines Magisterstudiums (2005) und der Promotion zum Dr. Phil. (2010) an der Universität Münster war er am Institute for Migration and Ethnic Studies (IMES) der Universiteit van Amsterdam (2011-2012) sowie an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam (2012-2013) tätig. Seine Forschungsschwerpunkte mit Bezug zur Religionspolitik liegen auf der Integration des Islam in christlich geprägten Gesellschaften sowie religiösen Organisationen als Interessengruppen.